Bibel der Toten
nicht mehr beschützen. Die laotische Regierung sinnt wegen des toten Polizisten auf Rache. Die Nachfolger der Roten Khmer arbeiten selbst jetzt noch gegen mich und meine Interessen. Gegen Chemda und Sie.
Meinen Segen haben Sie jedenfalls«, fuhr Sen fort. »Sie wird Sie heiraten. Wenn Sie möchten, können wir es schon heute perfekt machen, sonst in den nächsten Tagen. Sie müssen sie mitnehmen, nur Sie können sie dazu bewegen, das Land zu verlassen. Aber vorher müssen Sie, aus Gründen der Schicklichkeit, heiraten. Sofort.«
»Heiraten?«
Sen tätschelte väterlich Jakes Knie: »Das kommt sicher etwas überraschend für Sie.«
»Wie stellen Sie sich das vor? Ich soll Chemda Knall auf Fall heiraten?«
Jake konnte es immer noch nicht fassen. Er bekam Chemda angeboten, eben mal so, wie eine Mahlzeit oder wie ein kleines Geschenk.
Sen lächelte reumütig.
»Ich kann Ihre Bestürzung gut verstehen. Wahrscheinlich möchten Sie erst einmal über meinen Vorschlag nachdenken. Ich gehe in der Zwischenzeit mal nach drinnen und sehe nach, ob sich unsere beiden Taifune langsam ausgetobt haben. Warten Sie hier. Ich hole nur kurz meine Tochter.«
Der alte Mann ging ins Haus zurück. Jake starrte wie vom Donner gerührt auf die grauen Felsen, den perfekt platzierten Baum, die sorgfältig gerechten Kreise aus Sand, staubtrocken und empfindlich in der gnadenlosen Sonne der Trockenzeit.
Er war total perplex und schwitzte so stark, als hätte er hohes Fieber. Das war gar nicht gut; das war furchtbar. Diese Leute waren so erpicht darauf, Chemda sicher außer Landes zu schaffen und schnell zu verheiraten, dass sie nicht einmal davor zurückschreckten, sie einem Mann anzudienen, den sie kaum kannten. Vielleicht hatte sie die Angst dazu verleitet. Vielleicht hatte es sogar der große Sovirom Sen mit der Angst zu tun bekommen; vielleicht hatten alle Angst.
Jake jedenfalls hatte Angst.
Dann kam ihm ein anderer bedrückender Gedanke. Steckte vielleicht Chemda selbst hinter diesem Manöver? War das irgendein aberwitziges Komplott, das einzig und allein dem Zweck diente, ihn zu keschen? Aber warum hatte sie ihn dann gebeten, heute Morgen zu ihr zu kommen? Hatte sie ihm etwas vorgemacht, als sie behauptete, ihr Großvater sei auf Geschäftsreise?
Das war alles quälend undurchsichtig. Er musste hier weg, erst einmal in Ruhe nachdenken. Nach Hause fahren, mit jemand anders darüber reden, sich ordentlich Kaffee reinpfeifen, Tyrone anrufen.
Er stand auf, ging ins Haus und auf den Flur hinaus. Es herrschte inzwischen absolute Stille. Das Hausmädchen beobachtete ihn durch eine offene Tür. Offensichtlich war der Streit zwischen Mutter und Tochter von Sen geschlichtet worden oder von selbst ausgeklungen. Aber Jake war nicht danach, zu bleiben und sich an der häuslichen Harmonie zu freuen. Nicht in diesem makellosen Gefängnis von einem Haus.
Jake ging sehr schnell zur Haustür, um dann die lange, gewundene Einfahrt zum Boulevard buchstäblich hinunterzurennen und in das erstbeste Tuk-Tuk zu springen. Erst dann setzte er sich zurück und begann, im köstlichen, warmen, luftverschmutzten Fahrtwind seine Gedanken zu ordnen. Sein Verstand arbeitete auf Hochtouren.
Weil Sonntag war, war das Tuk-Tuk schon nach wenigen Minuten in seinem Viertel. Er tippte dem Fahrer auf die Schulter.
»Bitte halten Sie hier.«
Jake gab dem Mann zwei Dollar und stieg aus. Als er in seine Straße bog, sah er einen Jungen, der gerade von seinem Motorrad stieg und mit einer Glasflasche ganz beiläufig auf das Mietshaus zuging, in dem er wohnte. Irgendetwas daran kam ihm eigenartig vor. Irgendetwas war da faul. Wer war der junge Kerl? Was wollte er hier? Jake ging langsamer und ließ den Jungen nicht mehr aus den Augen. Der hatte inzwischen ein Feuerzeug herausgeholt und fummelte damit an der Flasche herum. Er zündete einen aus der Flasche hervorstehenden Stoffstreifen an, dann machte er ein paar Schritte zurück und warf die brennende Bombe durch ein Fenster im ersten Stock. Die Scheibe zersplitterte.
Der Molotowcocktail explodierte in Jakes Wohnung.
Sofort schossen fauchende Flammen aus den Fenstern. Jake stand nur da und schaute. Fassungslos.
Es hatte alles etwas vollkommen Selbstverständliches, etwas geradezu unverschämt Selbstverständliches.
Auf der Straße herrschte weiterhin friedliche Stille; ein Stück weiter fuhr eine junge Frau auf einem Fahrrad. Am Fluss gingen Liebespaare spazieren – und jemand hatte einen Molotowcocktail
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