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Bibel der Toten

Bibel der Toten

Titel: Bibel der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Knox
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geworfen.
    Jake beobachtete, wie der Junge wieder auf seine Suzuki stieg und schnell wegfuhr. Unaufhaltsam und gierig züngelten die Flammen inzwischen prasselnd die Hauswand hinauf. Und dann, es war kaum zu glauben, passierte das Ganze noch einmal. Ein zweiter Junge fuhr auf einem Moped vor und wiederholte seelenruhig lächelnd den Anschlag – als handelte es sich dabei um etwas vollkommen Alltägliches, das er keineswegs ungern tat. Der Jugendliche stieg ab, zündete mit einem Feuerzeug den Docht einer benzingefüllten Glasflasche an – und ging damit auf Jakes Wohnung zu. Bereit, den Molotowcocktail zu werfen.
    Der Drang, loszurennen und den Jungen aufzuhalten, war fast unwiderstehlich. Jake wollte auf ihn einprügeln und eintreten und ihm Schmerzen zufügen, aber eine tiefer sitzende Logik hielt ihn davon ab. Trotz aller Empörung bremste ihn irgendein verborgener, unterbewusster Selbsterhaltungstrieb.
    Zitternd vor hilfloser Wut, sah Jake zu, wie der Junge ausholte, die Flasche zersprang, die prasselnden Flammen noch gefräßiger loderten.
    Inzwischen war es ein richtig großes Feuer. Erste panische Schreie ertönten. Leute kamen mit erschrockenen Gesichtern aus Cafés gerannt und schauten. Die Bombenwerfer waren längst weg.
    Jake zog sich in den Schatten eines Frangipanibaums zurück. Mit erschreckend hellsichtigem Entsetzen wurde ihm bewusst, dass er gerade Zeuge eines Attentats geworden war, das ihm gegolten hatte. Niemand hatte wissen können, dass er nicht zu Hause war; es war Sonntag und noch relativ früh. Wahrscheinlich hatten sie angenommen, dass er noch im Bett lag und schlief.
    Es gab keinen Zweifel. Da hatte gerade jemand versucht, ihn umzubringen.

17
    C hère Julia,
    ich weiß nicht, wie ich diesen Brief – diese E-Mail – beginnen soll. Möglicherweise ist es mir noch nie so schwer gefallen, etwas niederzuschreiben. Aber ich habe das Gefühl, keine andere Wahl zu haben. Ich bin Dir eine Erklärung schuldig; nein, mehr als das, ich bin es mir schuldig, Dir eine Erklärung zu geben, vor allem Dir. Meiner Freundin.
    Zuerst musst Du jedoch ein paar grundlegende Fakten kennen. Wir sind Wissenschaftler, Fakten sind unser täglich Brot, n’est ce pas? Allerdings würde ich mich in letzter Zeit als eine recht schwermütige Wissenschaftlerin bezeichnen. Vielleicht ist das eine Berufskrankheit, das unausweichliche Schicksal aller Archäologen. Immer diese Knochen, Julia, diese vielen, vielen Knochen. Und die Schädel. Sie machen mich traurig, furchtbar traurig. Und das umso mehr, als ich weiß, was ich weiß.
    Aber ich greife schon wieder vor. Hier ist das erste Faktum, das erste von vielen, die ich dir erzählen muss.
    Vor drei Jahren wurde Hector Trewin, ein alter Kollege von Ghislain und mir, in seinem Oxforder College ermordet. Vielleicht hast Du sogar von ihm oder zumindest von dem Vorfall gehört. Meines Wissens sorgte der Mord in den Medien kurze Zeit für einiges Aufsehen, weil Hector Trewin gefoltert wurde, bevor man ihn tötete. Offenbar wurden ihm an Händen, der Kopfhaut und wohl auch an anderen Körperstellen Elektroschocks versetzt. Der Mord hatte kein erkennbares Motiv. Die Polizei konnte keine Verdächtigen ermitteln, geschweige denn festnehmen, Julia. Niemand wurde verhaftet. Das Interesse an dem brutalen Mord erlosch ebenso rasch wie es aufgeflackert war.
    Aber wie Du gleich sehen wirst, war dieser Vorfall keineswegs für alle so rätselhaft und unerklärlich.
    Ghislain und ich hatten von Anfang an den Verdacht, dass der Mord etwas mit der Reise zu tun hatte, die wir 1976 nach Kambodscha – ins damalige Demokratische Kampuchea – unternommen hatten.
    Ich habe Dir nie etwas von dieser Reise erzählt. Aber sie ist für meine traurige Geschichte von entscheidender Bedeutung.
    Damals gehörten Hector Trewin, Ghislain Quoinelles und ich zu einer größeren Gruppe von Wissenschaftlern, die von der kambodschanischen Regierung nach Phnom Penh eingeladen wurden. Die meisten von uns waren Franzosen, aber es waren auch ein paar Amerikaner und Engländer dabei, außerdem ich als Belgierin sowie ein Deutscher, wenn ich mich recht erinnere. Aber sicher weiß ich das nicht mehr, Julia; es ist schon so lange her.
    An die grundlegenden Fakten erinnere ich mich jedoch noch sehr genau. Wir wurden alle von den Regierungen Chinas und Kampucheas eingeladen, im Frühjahr 1976 Beijing und Phnom Penh zu besuchen. Unsere Reisegruppe setzte sich aus Biologen, Anthropologen und Archäologen zusammen –

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