Bienensterben: Roman (German Edition)
Blutlache um ihre Füße herum weinte.
»Eine erbärmliche Hure.« Grammy seufzte.
»Na, du musst es ja wissen«, fauchte Mutter.
Als Vater mit Grammy (und der örtlichen Polizeitruppe) gegangen ist, sang Mutter ein Lied. Ein Lied, das ihr Kraft verlieh, ein Lied, das sie traurig machte, und ein Lied, das sie zum Tanzen brachte. Ich glaube, ich habe auch getanzt, möglicherweise hat sie mich gezwungen, und ich neige keineswegs zur Übertreibung.
Marnie
Ich hätte ihr echt den Hals umdrehen können.
Am Freitag komm ich nach Hause, und da steht Big Brian, der Schulschwänzer-Sheriff vom Dienst, mit einem Brief an meine Eltern, den will er ihnen persönlich geben. Dann hält er mir einen Vortrag, dass man auch in einer Freistunde in der Schule bleiben muss, erinnert mich daran, dass eigentlich gerade Studienzeit ist, und gibt mir einen rosa Zettel, was bedeutet, dass ich am Montag zum Direktor muss, damit er mir genau dasselbe noch mal erzählt, dabei hab ich einen Einserschnitt und brauche keine Studienzeit. Dann fragt er, wo meine Eltern sind; er weiß, dass sie von Arbeitslosengeld leben, und versucht angeblich schon seit über einer Woche, sie zu Hause anzutreffen, und überhaupt, wo zum Teufel stecken sie? Er lässt sogar durchblicken, dass sie womöglich irgendwo arbeiten, in anderen Worten, Sozialleistungen einstreichen, obwohl sie eine Anstellung haben, so als ginge ihn das was an, und ich muss fast lachen bei der Vorstellung, wie Gene und Izzy morgens aufstehen und zu einer richtigen Arbeit gehen, das ist einfach zu göttlich. Ich überlege, was ich ihm erzählen kann, ohne dass er misstrauisch wird. Ich sag ihm, wir hätten einen Hund, mit dem sie wohl gerade Gassi gehen, und dann schlage ich vor, er kann ja einfach dableiben und warten, so als kämen sie jeden Moment zurück, weil ich weiß, es ist Freitag und er will nach Hause, bevor die Straßen dicht sind, und er sagt dann auch, das wäre nicht nötig, und gibt mir einfach bloß den Brief.
Wie es aussieht, checkt er, dass ich ihn aufmachen werde, und will verhindern, dass ich ihn wegschmeiße, deshalb sagt er, meine Eltern müssen sich bis Ende des Monats beim Schulleiter melden, um einen Termin zu vereinbaren, sonst werden rechtliche Schritte gegen sie eingeleitet, was so viel bedeutet wie: Wegschmeißen geht definitiv nicht. Dann kommt das Abgefahrenste überhaupt. »Alles okay mit dir, Marnie?«, fragt er, und ich mache »hmm«. Dann sagt er: »Du weißt ja, einfach nur fragen, wenn du irgendwas brauchst, wir sind nicht dein Feind. Wir wollen Mädchen wie dich auf Kurs halten, darauf kommt es uns an, hast du das verstanden?« Ich nicke. Er steigt in seinen Wagen, und zum Schluss sagt er noch: »Schönes Wochenende.« Dann fährt er los. Mir ist zum Heulen zumute, und ich frage mich, was es ihn kümmert. Dann gucke ich unsere eingeschlagene Haustür an; sie war schon immer so, aber jetzt kommt es mir vor, als sehe ich sie zum ersten Mal, und es zieht mich runter. Wo früher ein Fenster war, ist jetzt Sperrholz, da ist mal eine Stereoanlage durchgesegelt, und um einen Garten voller Gerümpel und Trainingsgeräte, die kein Schwein je benutzt hat, steht ein kaputter Zaun. Ein Pappkarton voller Klamotten und Schuhe, und überall liegt irgendwelcher Kram verstreut. Nachdem wir sie begraben hatten, haben wir so gut es ging aufgeräumt, aber es war zu viel. Ich gucke zu Lennie rüber, mit seinem perfekten Rasen. Ich gucke zu den Häusern vor uns, Kinderspielsachen im Garten und Fahrräder an der Hauswand. Ich sehe Ordnung und Struktur. Wohnhäuser. Ich schäm mich und will alles in Ordnung bringen, damit es so aussieht, wie es aussehen sollte, aber ich weiß, das schaff ich nicht. Ich geh rein und reiße den Brief auf, und da erfahre ich, dass Nelly geschwänzt hat, öfter, als ich mitgekriegt hab. In dem Brief steht, dass Gene und Izzy rechtlich zur Verantwortung gezogen werden können, und das Wort »Verantwortung« ist unterstrichen.
Kurz darauf hör ich Nellys Schlüssel im Schloss und stell mich neben die Tür, damit ich sie mir schnappen und ihr so richtig eine runterhauen kann. Als sie mich sieht, ist sie total erschrocken. Warum ich überhaupt zu Hause wäre, will sie wissen, und ich sag ihr, ich hätte eine Freistunde, und sie dann so: »Das ist keine Freistunde, das ist Studienzeit.«
»Sag mal, geht’s noch?« Mir bleibt echt der Text weg. »Du hirnamputierte Hohl…«
»Was ist denn bloß los mit dir?«, fragt sie.
»Da, solche Briefe
Weitere Kostenlose Bücher