Bienensterben: Roman (German Edition)
muss jetzt Erwachsenensachen anziehen, sagt Marnie und nimmt dabei andauernd Worte wie Verantwortung und Reife in den Mund. Ich trage Verantwortung. Ich bin reif.
»Sind sie empfindlich?«, fragt sie.
»Wovon redest du?«, rufe ich.
»Na, deine Brüste. Daran merkst du es nächsten Monat. Meine sind dann immer total empfindlich. Eine Scheißquälerei manchmal«, sagt sie zu mir.
Ich ringe nach Worten. Wie kann man bloß so etwas sagen, noch dazu zu seiner eigenen Schwester? Sie sagt eine ganze Menge an diesem Tag, genau wie Lennie, aber ich habe für sie beide taube Ohren. Ich habe für all das nur taube Ohren.
Ich finde es widerwärtig.
Marnie
Kimbo ist gay and proud im Moment und kriegt von allen eine Sonderbehandlung, vor allem in der Schule, und sogar bei Lennie durfte sie sich ausquatschen. Alle reißen sich ein Bein aus, um sie zu unterstützen, außer ihrer Mum, die ist voll ausgerastet. Anscheinend hat sie die Krise gekriegt, von wegen keine Enkelkinder und so, bis Kimbo sie daran erinnert hat, dass sie ja schon noch eine Gebärmutter hat. Es war hart für Kimbo. Ihre Mum und ihr Dad schämen sich voll. Letztens hat sie ihnen vorgeworfen, sie hätten sie von Geburt an ignoriert. Da ist ihre Mum total hochgegangen, ich meine, Kimbos Eltern lassen ihr echt alle Freiheiten, aber Kimbo sagt, das tun sie nur, weil es das Einfachste ist. Wahrscheinlich hat sie recht. Mit elf durfte sie rauchen und an den meisten Wochenenden bis nach zehn draußen bleiben. Dass sie uncool wären, hat sie ihnen vorgeworfen. Das saß. Und dass sie sie unter dem Vorwand, hippe Eltern zu sein, vernachlässigen würden. In Wahrheit sind Kimbos Mum und Dad die einzigen Wesen auf diesem Planeten, für die Kimbos sexuelle Offenbarung überraschend kam. Sie war schon immer irgendwie männlich und ziemlich aggressiv, fast so eine Art Schlägertype, wenn ich ehrlich sein soll. Angeblich hat sie manchmal Frauen verprügelt, damit keiner merkt, dass sie sich zu ihnen hingezogen fühlt. Jetzt tut ihr das voll leid und sie entschuldigt sich bei so Leuten wie Sarah Pitt, so einer abgebrochenen Kackbratze mit Fusselhaaren. Jedenfalls hat Kimbo die letztes Jahr total vermöbelt und eine Woche Schulverbot dafür bekommen. Neulich haben sie diese Mediationssache gemacht, das war auf dem Mist von Mrs. MacLeod gewachsen, klar, von wem sonst. Jedenfalls hat Kimbo Sarah da um Verzeihung gebeten, und Sarah war einverstanden, logisch, wer will sich schon mit einem psychotischen Zwei-Zentner-Teenie anlegen. Jetzt wird Kimbo zu einer Art Mediations-Junkie, und weil sie damals ziemlich vielen Leuten eins draufgegeben hat, macht das jetzt eine Menge Reden und Umarmen. Mrs. MacLeod kriegt sich kaum noch ein.
Kimbo trägt ihr Herz auf der Zunge im Moment und läuft immer halbnackt rum, aber nur, damit auch jeder ihre Piercings und natürlich ihr neues Tattoo sieht, aber ich find’s grottig. Es ist ihr Name. Auf Chinesisch. Dabei kann sie kein Wort Chinesisch. Und das ist das Nächste: Sie will nicht mehr Kimbo genannt werden. Angeblich haben wir ihr diesen Namen gegeben, um das Maskuline in ihr zu definieren, ohne uns damit auseinanderzusetzen, was das Maskuline in ihr eigentlich bedeutet, in anderen Worten, dass sie eine Versagerin ist. Kim ist eine Frau, die Frauen liebt, hat sie gesagt, während Kimbo eine Frau war, die sich selbst gehasst hat, deshalb nennen wir sie jetzt Kim. Wir dürfen sie nicht in eine Schublade stecken, sagt sie. Das ist im Moment ihr Lieblingsausdruck. Und auf Klischee fährt sie auch voll ab.
Es war so eine lange Woche, und ich bin total im Arsch. Kim kaut mir ein Ohr ab, ich soll mir auch ein Tattoo stechen lassen, aber ich will keins. Zum einen sieht es irgendwie krank aus. Susie hat sich eins machen lassen, war ja klar. Kein bisschen Rückgrat, das Mädchen. Eine Efeuranke um den Knöchel, für ihre Mum. Ich kapier einfach nicht, warum sich die Leute ihren Namen oder ihre Geheimnisse in die Haut ritzen lassen, warum behalten sie sie nicht für sich, so wie ich? Letzten Sommer hab ich im Barras so ein Mädchen gesehen. Um die dreißig, groß und blond. Dreadlocks. Die sah aus wie ein wandelndes Bilderbuch. Echt jetzt. Von Kopf bis Fuß tätowiert, ich hatte das Gefühl, ihr ganzer Körper schreit mich an.
Ich lass mir niemals ein Tattoo stechen. Meine Geheimnisse sind sicher in meinem Inneren eingeritzt, und da sollen sie auch bleiben.
Nelly
Sie haben mich ausgelacht, und dann wurden sie zornig.
»Du kannst deine
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