Bienensterben: Roman (German Edition)
haben. Bilder von ihrem Vater vielleicht, aber die sind nicht mehr da. Zerrissen. Verbrannt. Verbannt.
Als letztes Foto kommt mir eins von ihrer Mutter in die Finger, das war ein paar Tage vor ihrem Tod. Izzy sitzt bei ihr, und sie sieht verhärmt und gelb im Gesicht aus, abgemagert vom Krebs und mit einem schmalen Lächeln, zu dem die Kamera sie zwingt. Izzy lächelt auch, sie hat den Arm über das Bett ihrer Mutter gelegt und hält ihre Hand. Es ist eine sanfte Pose, ein Abschied, so wie man ihn an Bahnhöfen und Flughäfen sieht, nur dass es hier anders ist, Izzys Mutter hat nur noch ein paar Tage zu leben und sie werden sich nie mehr wiedersehen. Das nächste Foto, Izzy ein paar Monate später, hochschwanger mit mir und liiert mit Eugene Doyle; er hat eine Bierdose in der einen Hand und an der anderen Izzy.
In der Mitte vom Album find ich das Bild, das ich gesucht habe. Im Hintergrund sind Boote, und eine Rasenfläche mit einer Steinmauer drumherum. Es muss in irgendeinem Park sein, wegen dem moosgrünen Klettergerüst hinter uns. Es ist ein freundlicher Tag, ein guter Tag, die Sonne scheint und das Wetter ist klar. Ich habe keine Erinnerung daran, nur das Foto, ein Foto aus glücklichen Zeiten, und trotzdem hat Izzy die Stirn gerunzelt, als sie es angeguckt hat. Vor Bedauern? Aus Hass? Hat Izzy uns gehasst?
Keine Ahnung, warum ich gekotzt und mich warm und klebrig gefühlt hab vor Angst. Warum ich Wodka mit Kakao getrunken und dazu Cracker in mich reingestopft hab. Warum ich mich die ganze Zeit geschämt hab. Warum mir diese zwei abartigen Personen fehlen, meine lieblosen und egoistischen Eltern. Ich weiß nicht einmal, warum ich traurig bin oder warum ich das Foto aus dem Album nehme, einmal knicke und in meine Arschtasche stecke oder warum ich so leide wegen einer Mutter und einem Vater, die nie da waren. Und da kapier ich es auf einmal: Ich weine um das, was hätte sein sollen. Das da in meiner Arschtasche ist nicht das Bild von einer Familie, sondern von etwas, was sie nie wirklich wollte. Wir sind ihr irgendwie so passiert, und obwohl sie unsere Hand gehalten und uns auf die Stirn geküsst und manchmal auch in die Bettdecke eingemummelt hat, hatte sie immer so einen Blick in den Augen, als würde sie denken: Was mache ich hier eigentlich? , und das weiß ich, weil sie zugelassen hat, dass uns Sachen passieren, die uns nie hätten passieren dürfen.
Ich war allein im Haus und hab Nelly Geige spielen gehört, am laufenden Band dasselbe Stück, es ist echt unglaublich, wie schnell sie sich was aneignet, was sie fasziniert, wie sie es in sich aufsaugt und bis zum letzten Tropfen ausquetscht. Ich liebe die Geige, wirklich, wie sie mit ihrem ganzen Wesen tanzt, aber nicht an diesem Tag, an diesem Tag hätte ich am liebsten die Wand eingeschlagen und Nelly an ihrem Vogelhals gepackt und erwürgt, egal, Hauptsache, dieses ewige Bach-Gedudel hört endlich auf, diese düsteren Sonaten, Hauptsache, ihr Bogen summt mir nicht mehr wie eine Wespe im Ohr.
Es war die Hölle, als ich ihr zeigen musste, wie das mit den Tampons funktioniert. Sie hatte Angst und hat es nicht kapiert. »Soll ich es dir vormachen?«, hab ich gefragt. Sie hat genickt. Ich hab ein Bein aufs Klo gestellt und ihr gesagt, sie soll ihn »in die Scheide einführen«. Da ist sie total ausgeflippt, hat mich ein »widerliches Ferkel« genannt und den Kopf hin und her geworfen, und dann hat sie an der Klorolle gezerrt und sich das Papier um die Hände gewickelt, bis es ein richtiges Knäuel war. Das hat sie sich in den Slip gesteckt und die Hose hochgezogen. Sie konnte kaum noch gehen. Ich hasse es, wenn sie so drauf ist. »Das hält nicht«, hab ich zu ihr gesagt. »Das rutscht raus.« Aber sie hat nur weiter den Kopf geschüttelt. Mir ihr reden kann man echt abhaken, wenn sie so drauf ist. Am Ende hab ich ihr dann Binden gekauft. Sie hat sie benutzt und natürlich geschmollt, als ob es meine Schuld wäre, dass Izzy nicht mehr da ist und es ihr nicht mehr zeigen kann.
Nelly
Eine weiße Spritze. Aus kratzigster Baumwolle. Es ist widerwärtig. Ich blute eine so harte Wärme, dass mir der Bauch davon schmerzt. Angeblich jeden Monat. Jeden vermaledeiten Monat. Ich lasse das Blut schmelzen und fertig, sage ich. Marnie behauptet, das wäre unhygienisch.
Von welch hässlichen Dingen sie gesprochen haben; das alles macht mir ziemlich zu schaffen. Um Jungen und Babys ging es, genau das, womit unsere Mutter in Konflikt geraten ist, haben sie gesagt.
Ich
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