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Bienensterben: Roman (German Edition)

Bienensterben: Roman (German Edition)

Titel: Bienensterben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa O'Donnell
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Geschlechtsverkehr Bescheid wissen. Vielleicht sollte ich auch mit Marnie mal ein Wörtchen über Schwanz und Scheide reden und darüber, was eine junge Dame damit zu tun und zu unterlassen hat. Sie weiß es nämlich auch nicht.

Marnie
    Ich konnte es erst nicht finden. Izzy hat es gemacht. Ein Fotoalbum. Sie hat alle unsere Familienfotos zusammengesucht, zumindest was davon übrig war, und mit Kleber und Tesafilm in einen schwarzen Hefter geklebt, ein bisschen wie ein Familienalbum. Ich weiß noch, wie sie daran saß, dauernd hat sie mir irgendwelche Babyfotos unter die Nase gehalten. An eins erinnere ich mich besonders, das war in einem Park. Da war Nelly vielleicht ein Jahr alt. Izzy hat sie an ihre Brust gedrückt, und Nelly hat gelacht und auf irgendwas gezeigt. Ich bin irgendwie weggelaufen und wollte da hinrennen, wo Nelly hinguckt, das war nicht mehr mit drauf, zu einer Rutsche vielleicht, die wir runterwollten, oder zu einer Schaukel, auf der wir spielen wollten. Gene hat fotografiert.
    Ich erinnere mich vage, wie Izzy dieses Foto in der Hand hielt; sie hat einen Tee getrunken und sah irgendwie traurig aus, so als ob sie es nicht sehen will, aber trotzdem angucken muss. Irgendwas war mit diesem Bild, und als ich reinkam, hat sie es schnell versteckt.
    Es war arschkalt im Schlafzimmer. Wir hatten das Fenster aufgemacht, um endlich Genes Gestank loszuwerden, aber dann vergessen, es wieder zuzumachen. Als ich drin war, hab ich mir die Arme gerieben, so kalt war es. Ich hab sie andauernd vor mir gesehen, konnte sie fast spüren, und obwohl ich wusste, dass sie nicht da sind, musste ich sie mir einfach in diesem Zimmer vorstellen. Gene hat immer mit einer Kippe im Bett gesessen und Zeitung gelesen. Aus den Augenwinkeln hat er Izzy beim Umziehen zugeguckt, aus der Jeans in einen Rock, aus Turnschuhen in Slipper, wie sie sich Zopfgummis mit bunten Kugeln in die Haare gebunden und Parfüm auf die Handgelenke gesprüht hat. Und Nelly neben Gene, Vater und Tochter nebeneinander beim Lesen, mehr nicht. Ich seh genau vor mir, wie Gene nach einer Teetasse greift und schlürft, bis sie ganz leer ist. Wie Nelly an einem Keks knabbert und die Krümel zwischen ihre Buchseiten fallen lässt. Ich sitze am Fußende vom Bett und kratze an einem Schorf. Izzy meckert mich an, aber ich sag: »Leck mich«, ist doch bloß ein Knie. Es kommt mir vor wie eine bessere Zeit, eine liebevolle Zeit, und das sollte mich trösten, tut es aber nicht; stattdessen fühle ich mich ganz krank und krieg so ein flaues Gefühl im Magen. Ich konzentriere mich wieder auf den kühlen Raum und gucke ihr Bettgestell an, ein rostiges Metallskelett. Darin haben sie mal geschlafen, und jetzt fehlt die Matratze, weggeschafft in einer Nacht- und Nebelaktion mit einem gärenden Fleck auf dem Bezug. Wir haben sie ein paar Tage später in einer Gasse hier um die Ecke verbrannt.
    Izzys Fotoalbum liegt neben dem Bett, und ich frag mich, ob sie wohl damit eingeschlafen ist und es fallenlassen hat, ob sie sich abends im Bett Babyfotos ihrer Kinder und Fotos von ihrer Mutter angeguckt hat, oder vielleicht das eine, auf dem Nelly und ich in zusammenpassenden Regenmänteln im Gras spielen. Ich frage mich, ob das Album sie wohl eher froh oder traurig gemacht hat; so was machen Bilder, sie erzählen dir alles, was du willst, und die das nicht machen, die hebt keiner auf.
    Das Fotoalbum ist schwarz, und Izzy hat von uns allen Namen und Geburtstage innen reingeschrieben, und den Namen und den Geburtstag von ihrer Mutter, und ihren Todestag. Sie hat den Stift fest aufgedrückt, damit sie sich nicht verschreibt. Sie wollte auch nicht krakeln, es sollte sauber aussehen, so als würde ihre Tinte einem höheren Zweck dienen.
    Die ersten Bilder im Album sind von Izzy als Baby, was man sich überhaupt nicht vorstellen kann, aber da ist sie, schon ein bisschen verblasst, sie sitzt mit einem Mützchen auf dem Kopf in einem Silver Cross Kinderwagen. Und da noch eins, Izzy mit ungefähr zwei auf dem Arm ihrer Mutter, meiner Großmutter, einer zierlichen Brünetten mit Schnittlauchfrisur. Sie hat die grünsten Augen, die man je gesehen hat, genau wie meine, bloß heller. Sie trägt lavendelfarbenen Lidschatten und schwarzen Kajal. Sie hat einen grünen Minirock und einen orangenen Rollkragenpulli an, und dazu so fette, klobige Plateauschuhe, dass ihre Knöchel wie kleine Murmeln aussehen.
    Izzys gesamte Kindheit ist auf gerade mal acht Fotos festgehalten, aber es muss noch mehr gegeben

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