Bierleichen: Ein Fall für Kommissar Pascha (Knaur TB) (German Edition)
fiel nicht auf – anders als in seinem geliebten München.
Das Geschäft, an dem er vorbeikam, brachte ihn auf eine Idee. Er erstand eine Tüte
çekirdek
und setzte seinen Weg fort. Wie ein Vogel knackte er beim Gehen die Schale der gerösteten Sonnenblumenkerne mit den Vorderzähnen auf, schob den Kern in den Mund, um ihn mit der Zungenspitze aus der Schale zu befördern. Die Technik hatte jeder zu beherrschen, der sich Türke nennen wollte. Den einheimischen Gepflogenheiten folgend, spuckte er die Schale aus. In München wären ihm dafür strafende Blicke sicher gewesen. Nach dem Verzehr von etwa hundert Sonnenblumenkernen erreichte er Kocas Haus und läutete. Postwendend brummte der Türsummer.
Nihal Koca erwartete ihn an der Tür des Einfamilienhauses. Ein vermeintlich erdbebensicherer Neubau, wie er vermutete. Der Kommissar schenkte ihrem über den Knien endenden, schwarzfarbenen Morgenmantel aus Satin mehr Beachtung, als ihm lieb war. Er passte nicht zu dem Bild der Diplomatin im biederen Kostüm, wie er sie am Flughafen kennengelernt hatte. Das Haar war ungekämmt, offenbar war sie noch nicht lange wach, ein ebenfalls schwarzes Kopftuch lag um den Hals.
»
Komiser Bey,
treten Sie ein.
Hoş geldinz
«, begrüßte sie ihn mit übertriebener Freundlichkeit.
Demirbilek folgte ihr in den Salon. Er war nicht geräumig, aber repräsentativ eingerichtet, um Gäste gebührend zu empfangen. Am auffälligsten war eine Wand, vollgehängt mit Schenkungen aus aller Welt. Die Diplomatin musste eine vielgereiste Frau sein, nahm Demirbilek an. Dann entdeckte er in einer Ecke ein Sofa. Darauf fläzte eine Person, die sich hinter der
Hürriyet
versteckte. Nach den Hosen, die er sehen konnte, musste es ein Mann sein. Der Leser senkte die Zeitung. Zum Vorschein kam ein eleganter Herr Anfang fünfzig, mit graumeliertem Haar und einem dünnen Bartstrich über der Oberlippe. Er grüßte wortlos und vertiefte sich wieder in die Lektüre. Auch wenn Demirbilek ihn nur kurz sehen konnte, merkte er, wie sehr er unter Anspannung stand.
»Seien Sie meinem Ehemann Necati nicht böse, bitte. Beim Zeitunglesen darf man ihn nicht stören.
Kahve
oder
çay?
«
Demirbilek folgte ihr in die Küche. Alles war ordentlich aufgeräumt und blitzblank geputzt.
»Sie sehen aus, als könnten Sie einen starken Mokka vertragen«, entschied sie und begann am Herd mit der Zubereitung.
»Az şekerli«,
bestellte Demirbilek. Ein wenig Zucker reichte, um das Koffein in seiner Wirkung zu unterstützen, zu viel Zucker nahm dem Kaffee den bitteren Geschmack, den er am türkischen Mokka liebte.
Während Koca wortlos das Gemisch aus Wasser und Kaffeepulver in dem Messingkännchen beobachtete, um den Zeitpunkt abzupassen, wann es aufzukochen begann, beschloss Demirbilek, nicht die Initiative zu ergreifen. Er hatte sich vorher eine Strategie zurechtgelegt. Er würde so tun, als hätte er Beweise für Bayraks und Kocas Verhältnis in der Hand. Über den Umweg wollte er an Handfesteres kommen, um Dietl und Zeil zu überführen. Ein vager, möglicherweise aussichtsloser Plan, dessen war er sich bewusst.
Der Mokka war stark und heiß. Er nippte daran. Koca setzte sich zu ihm und schwang die Beine übereinander. Falls sie in Trauer war, so zeigte sie das lediglich durch die Farbwahl des Morgenmantels.
»Danke, dass Sie mein Tablet zurückgegeben haben«, sagte sie und musterte ihn dabei eingehend.
Hatte Vierkant etwa ein Dankschreiben beigelegt?, fragte er sich, ohne eine Miene zu verziehen. Kocas erster Schuss kam unerwartet. Aufgrund ihres Berufes hatte sie wahrscheinlich Möglichkeiten, derlei Informationen zu ermitteln. Oder sie hatte einfach nur eins und eins zusammengezählt. Eigentlich hatte sich Demirbilek vorgenommen, die Fragen selbst zu stellen. Doch er fand Gefallen an der ungewohnten Rolle und schwieg weiter.
»Wissen Sie, warum ich Sie hereingelassen habe?«, fuhr sie fort. »Ganz sicher nicht, weil Sie unverschämterweise mit Sirene und Blaulicht vorgefahren sind. Sie müssen sehr verzweifelt sein, mein Münchner Kommissar.«
Demirbilek lächelte. Dass sie ihn so schnell durchschauen würde, hatte er nicht erwartet. Er stand auf. »
Çay
wäre mir doch lieber. Darf ich?«
Koca schmunzelte. »Oben rechts finden Sie Tee.«
Er holte das Päckchen aus dem Hängeschrank. Auf der Verpackung erkannte er das Logo der Fair-Trade-Organisation.
»Nehmen Sie nicht zu viel. Der Tee stammt aus Sri Lanka, er ist sehr stark«, warnte sie ihn.
»Wissen Sie,
Weitere Kostenlose Bücher