Bierleichen: Ein Fall für Kommissar Pascha (Knaur TB) (German Edition)
Kunststudent verstand, hatte sich gewünscht, den leibhaftigen Kommissar kennenzulernen. Özlem befürchtete, ihr eigensinniger Vater würde ihren Freund als Schnösel abtun, da er in einer Grünwalder Villa aufgewachsen war. Das wäre ganz sicher passiert, sagte sie sich, vermied es jedoch, ihm gegenüber die Befürchtung auszusprechen. Stattdessen flüchtete sie sich in Erklärungen über die Gemütsverfassung ihres Vaters während der muslimischen Fastenzeit. Er sei zu gereizt, erklärte sie lapidar. Meinte aber eigentlich seine unterdrückte Wut, die stets aufkam, wenn sie ihm einen Freund vorstellte. Sie malte sich aus, wie er wieder einmal den strengen türkischen Patriarchen zum Besten gab. Eines seiner Lieblingsthemen war dann die Enthaltsamkeit vor der Ehe, danach hätte er gefragt, ob ihr Freund bereit sei, sich beschneiden zu lassen und zum Islam zu konvertieren, und ihm drastisch vor Augen geführt, welche Pflichten ein Schwiegersohn in einer türkischen Familie zu übernehmen hätte. Spätestens wenn er angefangen hätte, von dem fiktiven anatolischen Heimatdorf zu schwärmen, wo er die Hochzeit mit den dreihundert Bewohnern ausrichten wollte, hätte sie ihren Freund das letzte Mal gesehen.
Jäh wurde Özlem aus diesen Gedanken gerissen, als sie ihren Vater auf sich zukommen sah. Schnell drückte sie die Zigarette aus. Er trug seinen grauen Anzug. Krawatte. Ein gebügeltes Hemd. Für einen vierzigjährigen Vater zweier erwachsener Kinder, der zwei Ehen hinter sich hatte, machte er einen eleganten, weltmännischen Eindruck. Dass er keine feste Freundin hatte, wusste sie, aber vielleicht ja eine Affäre, stellte sie sich vor, obwohl sie spürte, wie sehr er sich wünschte, wieder mit seiner wahren Liebe, ihrer Mutter, zusammenzukommen. Sie winkte ihm zu und steckte verstohlen ein Pfefferminzbonbon in den Mund, um den Zigarettengeruch zu vertuschen.
Ihr Vater blieb stehen, etwa fünfzig Meter entfernt, und winkte zurück. Da beobachtete sie, wie sich ihm eine junge Frau in den Weg stellte. Sie hatte Jeans an, eine grüne Bomberjacke und trug ein modisch angelegtes Kopftuch. Sie schien sehr aufgeregt zu sein. Özlem verfolgte gebannt, wie sie gegen seinen Willen die rechte Hand nahm. Sie küsste den Handrücken und führte sie zur Stirn. Eine Geste des Respekts. Sie beobachtete weiterhin, wie die Frau auf ihn einredete. Es mochten nur drei oder vier Sätze sein. Diese aber zeigten offenkundig Wirkung. Er holte sein Handy heraus und rief jemanden an. Özlem war der festen Überzeugung, er versuche, sie zu erreichen. Sie kramte gerade nach ihrem Telefon in der Handtasche, als die Lokaltür aufgestoßen wurde und Cengiz herausstürmte. Ihre Jacke hatte sie bereits übergezogen.
»Sag Aydin, es tut mir leid. Ich muss los.«
Schnell gab Cengiz ihr links und rechts einen Kuss auf die Wange und eilte davon. Natürlich, schoss es Özlem durch den Kopf. Die Arbeit ruft – was sonst. Sie fingerte den Tabaksbeutel aus der Hosentasche und sah zu, wie die Freundin ihres Bruders ihrem Vater folgte. Die Frau mit dem Kopftuch konnte sie nirgendwo mehr entdecken.
16
D emirbilek wusste nicht, dass die Kneipe an der Straßenkreuzung allein schon wegen des Namens Zur Bierspritze eine gewisse Klientel anlockte. Er hatte die fremde Frau dorthin vorausgeschickt, um mit ihr zu reden, wollte sich aber vorher von Cengiz berichten lassen, was sie über den Toten an der Filmhochschule herausgefunden hatte. Das war nicht viel. Er war neu an der Uni und galt als ruhiger, unauffälliger Student. Ein Einzelgänger.
Vor der Kneipentür durchquerten die beiden Beamten eine Gruppe Nikotinabhängiger, die mit einem »Servus« Platz machten. Während sie sich im fast leeren Gastraum umschauten, wurden sie vom Wirt argwöhnisch beäugt. Neue Gäste fanden wohl eher selten den Weg in sein Lokal.
»Für mich ein Wasser«, bestellte Demirbilek. Er ignorierte die hochgezogenen Augenbrauen des Wirts. Offenbar überlegte er, ob er Wasser überhaupt vorrätig hatte.
Cengiz dachte derweil darüber nach, ob man in einer Bierkneipe das Wagnis eingehen konnte, Wein zu bestellen. Dabei durchzuckte sie der Gedanke, dass sie mit Aydin nach dem Konzert den Schwangerschaftstest machen wollte. Erschrocken entschied sie, für den Fall der Fälle auf Alkohol zu verzichten.
Demirbilek wartete, bis er das Gefühl hatte, Cengiz’ Unentschlossenheit führe zu keinem Ende, und übernahm für sie die Bestellung: »Sie nimmt auch ein Wasser.«
Mit einem
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