Bierleichen: Ein Fall für Kommissar Pascha (Knaur TB) (German Edition)
die aus seiner Sicht wohl vernünftig war. »Wenn Weniger nachfragt, war ich rauchen.«
»In Ordnung.«
Daraufhin schnellte seine rechte Hand vor und griff nach der Akte. Auf dem Flur vergewisserte er sich, ob ihn jemand sehen konnte. Aber noch bevor er mit dem Kopieren angefangen hatte, hörte er Demirbilek von drinnen rufen: »Mach gleich zwei Kopien! Für deine und meine Abteilung!«
Leipold fluchte, derb und bayerisch: »Kreuz Kruzitürken noch mal! Warum muss gerade ich mit dem Pascha von einem Osmanen zu tun haben. Lieber Herrgott, hilf!«
14
Z urück in den Diensträumen der Migra, lauschten Demirbilek und Cengiz Isabel Vierkants Bericht. Sie erwartete eine Reaktion des Sonderdezernatsleiters, der hinter seinem Schreibtisch gedankenversunken auf die Wanduhr blickte.
»Das hat Dr. Ferner gesagt?«, hörte sie statt ihres Chefs Cengiz überrascht fragen.
»Ja«, bestätigte Vierkant. »Es ist so. Kein Fremdverschulden. Der arme Mann – Gott hab ihn selig – ist ertrunken.«
»Wie viele Promille?«, fragte Demirbilek, der nach wie vor auf die Uhr starrte. In den letzten zwei Minuten waren gerade mal zwei Minuten vergangen, rechnete er, bis ihm bewusst wurde, welch absurde Formen seine Gedanken annahmen.
»Wie viel?«, musste er nochmals fragen und nahm sich vor, das Fasten bleibenzulassen, wenn seine Konzentrationsfähigkeit nicht besser wurde. Die Arbeit ging vor. Das würde Allah sicher verstehen. Nachdem er das mit sich abgeklärt hatte, widmete er sich wieder dem Fall, der gar keiner zu sein schien.
»Drei Komma zwei Promille«, wiederholte Vierkant.
»Was hat er getrunken? Ich meine, was für Alkohol?«
»Bier, sonst nichts«, antwortete seine Mitarbeiterin und warf einen Blick in die Akte. »Und das auf praktisch leeren Magen.«
»Vielleicht hat er gefastet«, merkte Demirbilek an.
»Wir wissen gar nicht, ob er Moslem war«, wandte Vierkant ein.
»Ich weiß es«, stellte Demirbilek unaufgeregt fest. »Sein Name ist Ömer Özkan. Er war Student an der Filmhochschule. Erstes Semester, hat bei Mingabräu gejobbt, stundenweise als Aushilfskraft. Als Adresse hat er die Uni angegeben.«
Demirbilek holte aus der Brusttasche seines Sakkos die zusammengefaltete Kopie der Personalakte, die er ebenfalls im Büro der Brauerei gefunden hatte. Seine Mitarbeiterinnen sahen ihn mit Befremden an. Dann überflogen sie die spärlichen Eintragungen.
»Woher haben Sie das?«, wunderte sich Vierkant.
Er ignorierte die Frage. Die beiden mussten nicht alles wissen.
»Dann ist ja klar, woher der Steinkrug stammt«, bemerkte Cengiz mit Blick in die Akte.
»Genau.«
»Heißt das, wir gehen dem Fall nach?«
»Nicht offiziell. Wir stochern herum. Mehr nicht. Bei den Eltern rufst du nicht an. Ich schicke erst einen Kollegen aus Istanbul vorbei. Fahr zur Uni. Frag nach, wer ihn kennt und so weiter. Ich möchte wissen, wann und wie er nach München gekommen ist. Wenn seine Familie verständigt ist, bietest du an, bei der Überführung der Leiche behilflich zu sein. Ich habe Weniger versprochen, dass wir uns darum kümmern. Also, kümmert ihr euch darum.«
»Schon gut«, erwiderte Cengiz schicksalsergeben und machte sich an die Arbeit.
15
Ö zlem Demirbilek trat aus dem Lokal und verschwand um die Häuserecke, um sich eine Zigarette zu drehen. Zum Glück fing das Konzert von Aydin erst um zweiundzwanzig Uhr an – eine Stunde nach dem Fastenbrechen. Die Tochter des Kommissars kannte die Kneipe vor allen Dingen von den Großleinwandübertragungen der FC -Bayern-Spiele, weil sie ihren Vater immer wieder dorthin begleitete – weniger freiwillig denn als Gefälligkeit. Nie hätte sie es sich verziehen, wenn er sie beim Rauchen erwischt hätte, obwohl sie neunzehn Jahre alt und laut Gesetz erwachsen war. Vor einem Jahr war sie aus der väterlichen Wohnung ausgezogen und führte ihr eigenes Leben – als Studentin der Kunstgeschichte mit Ambitionen auf eine Karriere im Kunstbetrieb. Sie träumte davon, einem bedeutenden Museum vorzustehen. Am liebsten in Istanbul, da sie plante, in die Geburtsstadt ihrer Eltern umzuziehen. Bis sie mit ihrer Karriere durchstarten konnte, musste sie allerdings noch sechs Semester Studium hinter sich bringen.
Im vollen Lokal hielten Cengiz und der beste Freund ihres Vaters, Robert Haueis, zwei Plätze frei. Özlem hatte überlegt, ihren neuen Lover zum Konzert mitzunehmen, sich aber doch dagegen entschieden. Der Kommilitone, der sich mehr als angehender Künstler denn als
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