Bierleichen: Ein Fall für Kommissar Pascha (Knaur TB) (German Edition)
Familienbilder aus glücklichen Tagen.
Das Klingeln des Handys holte sie aus ihren Gedanken zurück. Die Sonne schien schwach durch die Fenster; die eingewobenen Goldfäden der Tagesdecke vom letzten Türkeibesuch glänzten auf dem Bett. Sie würde sich die gleiche wieder kaufen, beschloss sie und richtete sich auf. Das Handy lag in der Küche.
»Florian?«, fragte sie in den Apparat. »Alles in Ordnung?«
»Ja.« Seine Stimme klang nervös. »Warst du im Reisebüro?«
»Nein, ich wollte gerade los.«
»Dann treffen wir uns in zwei Stunden.« Seine Stimme klang nicht mehr nervös. Sie klang besorgt.
»Der türkische Kommissar hat dir zugesetzt, oder?«
»Ein Arschloch ist das. Der weiß nichts. Also, in zwei Stunden.«
»In Ordnung.«
Sie legte auf und machte sich daran, den letzten Koffer zu packen.
Den Inhalt der Schubladen ihrer Schminkkommode hatte sie am Morgen leer geräumt. Ihre Schätze lagen ordentlich sortiert am Boden. Sie musste über sich lächeln. In all den Jahren hatte sich einiges angesammelt. Dennoch konnte sie sich nicht entscheiden. Sie fand kaum eine Tube mit Haut- oder Gesichtscreme, kaum einen Lippenstift, kaum einen Lidschatten oder eine Puderdose, die sie zurücklassen oder wegwerfen wollte. Körperpflege war ihr wichtig. Sie wollte schön bleiben bis zu ihrem letzten Atemzug. In ihrer Sterbeversicherung hatte sie festgelegt, geschminkt und im Lieblingskostüm bestattet zu werden. Es gefiel ihr, wenn sie in den Augen der Frauen ein Funkeln sah, wenn sie sich fragten, wie es die alte Schachtel schaffte, so attraktiv zu bleiben. Sie fand es schmeichelhaft, wenn Männer – wie der türkische Kommissar – mit lüsternem Blick in ihr Dekolleté bestätigten, wie begehrenswert sie immer noch war. Wenn in ihren Köpfen die Vorstellung loderte, wie es wäre, mit einer Frau im Rentenalter Sex zu haben. Um das zu erreichen, arbeitete sie hart an ihrem Körper. Fitnesstraining und Schwimmen würden fester Bestandteil ihres Lebens sein, solange ihr alternder Körper mitspielte. Sie lachte, weil sie an Florians jugendliche Gesichtszüge und durchtrainierten Körper dachte, an seine herrische Art, wie eben am Telefon, wenn er die Maske des frechen, harmlosen Lausbuben abgelegt hatte. Nein, redete sie sich ein, dir wird er nicht weh tun. Er liebt dich abgöttisch.
Dann packte sie die Schminkutensilien in den Koffer. Keine ihrer Kostbarkeiten wanderte in den Abfall. Mit Mühe schaffte sie es, die Verschlüsse zuschnappen zu lassen.
Als Karin Zeil bald darauf aus dem Hauseingang trat und mit eiligen Schritten zur Trambahnhaltestelle marschierte, teilten sich Cengiz und ihr Kollege Stern auf. Cengiz folgte der Verdächtigen in die Trambahn, Stern beschattete sie im Dienstwagen.
Ohne es zu merken, setzte sich Cengiz neben eine ermattete Mutter mit Kind auf dem Schoß. Zeil blieb im Gang stehen. Sie wirkte auf Cengiz aufgeräumt, eine verklärte Unbekümmertheit lag in ihren Gesichtszügen. Sie hatte sich schick gemacht, als wäre sie zu einer Gala unterwegs. Die Schönheit und Eleganz passten nicht in die Atmosphäre des verschlissenen Trambahnwaggons. Während Cengiz sich vorstellte, wie sie selbst mit vierundsechzig Jahren aussehen könnte, spürte sie plötzlich eine Hand auf ihrem Oberschenkel. Es war das Händchen des Kleinkindes. Ein Mädchen. Zwei Jahre vielleicht, schätzte sie. Süß, mit blonden Löckchen. Es blubberte munter darauf los und strahlte die Polizistin an, als wollte sie der werdenden Mutter vor Augen führen, dass ein Baby das größte Glück auf Erden bedeutete. Cengiz’ Aufmerksamkeit war mit einem Mal auf das Kind gerichtet. Zu spät bemerkte sie, dass ihre Zielperson ausgestiegen war. Sie bestrafte sich mit einigen derben Flüchen in ihrer Muttersprache und versuchte, ihren Kollegen im Dienstwagen zu erreichen.
Ferdinand Stern hatte lediglich das Autoradio und die Durchsagen des Polizeifunks, die ihn ablenken konnten. Er stand an einer roten Ampel und suchte gerade nach einem neuen Lokalsender. Als Jale anrief, hob er sofort ab. Doch da war Zeil – auch von ihm unbemerkt – an der unübersichtlichen Haltestelle am Isartor schon nicht mehr zu sehen.
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I sabel Vierkant und Helmut Herkamer waren weitaus konzentrierter bei der Beschattungsarbeit als ihre Kollegen. Sie folgten Dietl in seinem Oldtimer quer durch die Stadt und jagten ihm die Prinzregentenstraße hinterher Richtung Riem. Sobald er die Autobahn erreichte, gab er Gas und überholte die vor ihm
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