Biest: Thriller (German Edition)
groß, als würde es den ganzen Horizont einnehmen wollen. Polarlicht. Es war wunderschön. Vielleicht war es ein Zeichen des Himmels an sie, dass alles gut würde. Dass sie nichts falsch gemacht hatte. Dass sie keine Schuld traf. Und obwohl sie wusste, dass sie keine Absolution erwarten konnte, erfüllte es sie mit Zuversicht. Solveigh legte den Kopf in den Nacken, und auf einmal standen die Minuten still. Das Licht zeichnete psychedelische Muster in den Himmel und spiegelte sich im Meer. Die Wellen glitzerten in Mustern, und Solveigh hätte stundenlang zuschauen können, wenn sie nicht auf einmal einen stumpfen Schatten bemerkt hätte, der das Licht nicht so reflektierte wie das Wasser. Leise glitt er auf sie zu und wurde rasch größer. Sie erkannte den Turm eines U-Boots und einen seltsam geformten Rumpf, der ein wenig aussah wie ein Löffelbiskuit. Auf der Brücke standen Männer mit weißen Mützen, die das wunderschöne Naturschauspiel kaum zu beeindrucken schien. Noch ehe sie das Rotieren der Schiffsschraube oder die Motoren hören konnte, drangen Stimmen über die Wasseroberfläche zu ihr herüber, und das Leuchten erstarb. Der Pier lag jetzt wieder in nächtlicher Dunkelheit, das gelbliche Licht der Scheinwerfer sah auf einmal nicht mehr gut genug aus. Immer noch kein Geräusch von dem U-Boot. Die Halland war wirklich leise. Gespenstisch leise. Männer kletterten aus einer Luke und postierten sich auf dem Deck, als die Halland langsam an den Pier glitt, wo sie schon von weiteren Soldaten erwartet wurde, die sofort begannen, das Boot zu vertäuen. Zwei weitere Männer legten eine wackelig aussehende Metallbrücke an das Oberdeck. Der Erste Offizier geleitete eine Gruppe von drei Menschen in dicken Windjacken über das rutschige Deck bis zur Brücke. Beide Hände am Geländer, balancierten sie einer nach dem anderen über den Steg. Den Ersten erkannte sie an seiner Größe und der Fototasche, die er über der Schulter trug. Sie löste sich von ihrem Posten, den sie absichtlich im Schatten einer Lampe gesucht hatte, und trat ihnen entgegen. Er lief an ihr vorbei, vermutlich hatte er sie weder erwartet, noch konnte er ihr Gesicht unter der dicken Kapuze erkennen.
»Hallo, Marcel«, sagte sie in seinem Rücken.
»Solveigh?« Dann drehte er sich um. Ihr Herz macht einen Sprung.
»Ist er das?«, fragte sie mit einem Nicken in Richtung des jungen Mannes, der ebenso stehen geblieben war wie die junge Frau, die nur seine Freundin Maja sein konnte. Der Kommandant der Halland hatte die wichtigsten Informationen schon per Funk an die ECSB weitergegeben. Marcel nickte. Den Mann, der hinter der Dreiergruppe in einer schwedischen Offiziersuniform das Boot verließ, bemerkte sie nicht. Erst später sollte ihr auffallen, dass Aron nicht zu ihnen gestoßen war.
»Dann lass uns gehen«, sagte sie, ohne den jungen Russen oder seine Freundin zu begrüßen. Stattdessen packte sie Dimitrij am Arm und geleitete ihn ohne Gewalt, aber bestimmt in Richtung der Hafengebäude. Die norwegische Marine hatte ihnen einen Verhörraum zur Verfügung gestellt, den Solveigh ausgiebig zu nutzen gedachte. Als sie sich der Tür zu ebenjenem Verhörraum näherten, deutete Solveigh mit der freien Hand den langen Gang hinunter, ohne den Arm des Russen loszulassen. »Gib ihr einen Kaffee, und unterhaltet euch doch ein wenig«, forderte sie Marcel auf in der Hoffnung, dass er verstand: Beschäftige sie, und halt sie von diesem Raum fern. Eine aufgebrachte Freundin wegen angeblich zu harter Verhörmethoden hatte ihr gerade noch gefehlt. »Und, Marcel?«, rief sie ihm nach. Wieder drehte er sich zu ihr um. »Das mit Yael tut mir leid.« Ohne eine Antwort abzuwarten, bugsierte sie den jungen Russen, von dem sie wusste, dass er Dimitrij Sergejewitsch Bodonin hieß, in das kleine Zimmer. Auch hier herrschte militärische Nüchternheit: ein Tisch, zwei Stühle. Ein Mann im dunklen Anzug, der in der Ecke des Raumes auf sie wartete. Mehr brauchte sie nicht. Sie legte ihr Handy in die Mitte des Tisches und schaltete die Diktierfunktion ein.
Der Anzugträger ergriff das Wort, was eine juristische Notwendigkeit darstellte, denn Norwegen gehörte nun einmal nicht zur Europäischen Union.
»Zeugenbefragung am 7. Februar 2013, Marinebasis Tromsø. Leitung der Befragung: Staatsanwalt Eirik Ulvang.«
»Danke, Herr Staatsanwalt.« Und an den Russen gewandt: »Bitte nennen Sie uns Ihren vollständigen Namen, Ihr Geburtsdatum und Ihren Beruf.« Ihre Stimme war
Weitere Kostenlose Bücher