Biest: Thriller (German Edition)
an ihr vorbeilief. Solveigh blieb stehen. Er sah nicht eben aus wie jemand von einer Spezialeinheit. Zwar war sein Haar soldatenkurz geschnitten, aber er war kleiner als sie, und seine Augen wechselten sekündlich zwischen tiefer Melancholie und angriffslustigem Flirt. Sie machten keineswegs einen aggressiven Eindruck. Angesichts seines Aufzugs musste Solveigh bei dem Erkennungssatz, den ihr Yael mit auf den Weg gegeben hatte, schmunzeln: »Wieso haben Sie kein Schlauchboot dabei?«
Seine Augen funkelten: »Mein Schlauchboot hat ein Loch und liegt im Keller«, antwortete er. Also war er es doch. Und er spazierte einfach so über den Parkplatz, als wäre nichts gewesen. Solveigh hatte sich das Ganze irgendwie konspirativer vorgestellt. Aber natürlich hatte er recht: warum auch? Warum sollten sie den Aufwand betreiben auf einem Parkplatz mitten in der bayerischen Provinz? Sie gab ihm die Hand.
»Solveigh Lang von der ECSB, freut mich.«
»Sie können Aron zu mir sagen. Aus Israel. Freut mich auch.« Ohne ein weiteres Wort steuerte er auf ihren Wagen zu und warf die Tasche auf den Rücksitz, nachdem sie den Türöffner betätigt hatte. Er setzte sich auf den Beifahrersitz und wartete, bis Solveigh ebenfalls eingestiegen war. Sie setzte sich auf die Fahrerseite und musterte ihn. Unter dem T-Shirt und dem Hemd waren Muskeln zu erahnen, die nicht aus dem Fitness-studio stammten. Er rieb sich die Hände.
»Ganz schön beknackt, Ihr Erkennungszeichen. Und schweinekalt hier«, sagte er und nestelte an der Klimaanlage herum, die noch nicht lief. Solveigh startete den Wagen.
»Was haben Sie erwartet? Wir sind in Deutschland. Und es ist Winter.« Der Israeli lächelte ob ihrer zweideutigen Bemerkung zu den komplizierten, überorganisierten Deutschen.
»Ich weiß nicht. Ich bin, ehrlich gesagt, einfach losgeflogen. Der Anruf kam ziemlich überraschend, und ich besitze keine zivile Jacke. In Israel wird es kaum kälter als fünfzehn Grad … Wissen Sie, wie das hier angeht?«
Er war locker, wirkte komplett entspannt. Er war ihr sympathisch. Sie drückte ein paar Knöpfe, bis das Gebläse eine warme Brise im Auto verteilte. Er lächelte ihr dankbar zu.
»Fahren wir?«, fragte er schlicht.
»Klar«, antwortete Solveigh und rollte vom Parkplatz Richtung Essenbach.
»Man hat mir gesagt, Sie benötigten Informationen über einen möglichen Angriff von Spezialkräften auf eine Industrieanlage?«, brach Aron das Schweigen, als sie auf die Bundesstraße abbogen. »Und man hat mich angewiesen, vollständig mit Ihnen zu kooperieren, was – verzeihen Sie mir – doch einigermaßen ungewöhnlich ist …«
Die Fragezeichen, die in seiner Aussage mitschwangen, konnte Solveigh gut verstehen, es wäre ihr nicht anders gegangen.
»Gewissermaßen ja, aber es handelt sich nicht um eine einfache Industrieanlage, wie Sie gleich sehen werden. Und was unsere Zusammenarbeit angeht, so haben unsere Organisationen wohl derzeit die gleichen Interessen, sonst hätte Feinblat Sie wohl kaum hergeschickt.«
Bei der Erwähnung des Namens Feinblat zog Aron eine Augenbraue hoch. Nach einer Weile nickte er: »Also gut, Solveigh. Womit kann Ihnen der Staat Israel helfen?«
Am Horizont war schon der Kühlturm des Kernkraftwerks zu sehen. Solveigh deutete mit dem Finger in seine Richtung: »Ich möchte, dass Sie mir erklären, wie man da einbrechen könnte.«
Aron pfiff durch die Zähne und knackte mit den Fingern. Anscheinend war er aufgetaut. »Ich hoffe, Sie haben viel Zeit mitgebracht«, bemerkte er schließlich, als sie an den hohen Zäunen des Umspannwerks vorbeifuhren.
Zwei Stunden später hatten sie das Gelände viermal umrundet. Sie hielten am Rand eines Felds in der Schwaigergasse, von wo aus sie den hohen Kühlturm im Blick hatten, der unablässig Kondenswolken in den blauen Himmel pustete. Solveigh ließ den Motor laufen und blickte zu Aron, der sich viele Notizen in einem kleinen roten Buch gemacht hatte: »Und? Wäre es möglich?«
»Natürlich wäre es möglich. Das ist eine Industrieanlage. Klar haben sie Zäune und Kameras und diverse Sicherheitsschleusen, aber es handelt sich nun einmal nicht gerade um Fort Knox. Das Gelände ist über zwanzig Hektar groß, es gibt über vierzig einzelne Gebäude, und hier arbeiten sicherlich Hunderte von Menschen. Natürlich käme ich da rein. Wahrscheinlich nicht zu dem Reaktor, aber die Verwaltung, von der Sie gesprochen haben? Kein Problem. Ich zeige Ihnen, wo wir anfangen würden. Fahren Sie
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