Big Bad City
einverstanden. Sie wirkte sogar erleichtert, mit jemandem darüber sprechen zu können. Jedenfalls …«
… lag eine ältere Frau auf der Station, Mrs. Rosenberg, Ruth Rosenberg, glaube ich. Sie war sehr krank, eine Krebspatientin, wie ich schon sagte, die vielleicht noch zwei oder drei Wochen zu leben hatte. Sie war keine sehr nette Frau. Ich habe sie natürlich nicht gekannt, als sie noch gesund war, da ist sie vielleicht der reinste Engel gewesen, wer weiß? Aber jetzt war sie ziemlich unangenehm und unfreundlich, stöhnte nur herum und fauchte Ärzte und Schwestern gleichermaßen an, ein absolut widerlicher Mensch.
Man schaute einfach nur mal in ihr Zimmer herein, um freundlich zu sein, fragte zum Beispiel, wie es ihr ging, und sie schrie einen an: »Was glauben Sie denn, wie es mir geht? Sehen Sie mich doch an! Sehe ich aus, als ginge es mir gut?« Es ist nicht leicht, mit solch einem Menschen Mitgefühl zu haben, auch wenn seine Lage so ernst ist. Oder eine Schwester brachte ihr Schmerzmittel, und sie schrie sie an: »Wird aber auch Zeit! Wo bleiben Sie denn, verdammt noch mal?« Eine überaus schwierige Frau.
Ich war nicht der behandelnde Arzt, habe ihr die Schmerzmittel nicht verschrieben. Ich weiß nicht mehr genau, was sie bekommen hat, wahrscheinlich ein Morphinderivat, höchstwahrscheinlich MS Contin, alle sechs Stunden. Das wäre in solch einem Fall üblich, ein Morphinsulfat. Als Mary mir von der Frau erzählte, sagte sie, sie könne ihre Schmerzensschreie nicht mehr ertragen, ihr Stöhnen den ganzen Tag lang, die Frau sei ein Mensch und ein Geschöpf Gottes, wir müßten doch irgend etwas tun können, um ihr Leiden zu lindern. Ja, jetzt fällt es mir wieder ein, sie bekam auch ein Duragesic-Pflaster, absorbierte den ganzen Tag lang Fentanyl, wahrscheinlich fünfzig, sechzig Mikrogramm pro Stunde, dazu natürlich noch das Morphin.
Mary war der Ansicht, Mrs. Rosenberg solle die Morphindosis alle vier Stunden statt der verordneten sechs bekommen. Sie besprach das mit dem Arzt der Frau, sagte ihm, sie laufe nicht Gefahr, süchtig zu werden, da sie sowieso in ein paar Wochen sterben würde, und ob sie nicht bitte, im Namen Gottes, die Dosis öfter verabreichen könnten.
Der Arzt erwiderte, er glaube, Mrs. Rosenberg habe es auf etwas anderes abgesehen. Sie wolle, daß sie ihnen leid tat. Sie wolle mehr Aufmerksamkeit von ihnen. Und Mary sagte: »Und warum nicht? Was ist denn so falsch an ein wenig Aufmerksamkeit? Ihre Familie hat sie im Stich gelassen, niemand kommt sie besuchen, sie liegt nur den ganzen Tag im Bett, stöhnt vor Schmerzen und bittet um Medikamente. Warum um alles auf der Welt geben wir ihr dann nicht, was sie so verzweifelt braucht?« Nun ja, der Arzt meinte, er sei bereit, ihr bei der regelmäßigen Dosis alle sechs Stunden ein weiteres Milligramm zu verschreiben, was natürlich minimal war, eine reine Geste. Aber er weigerte sich geradeheraus, der Frau alle vier Stunden Morphin verabreichen zu lassen. Mary war unglaublich wütend …
»Sie erzählte mir das alles bei Hamburgern und Kaffee in dem Deli. Ich versprach ihr, am nächsten Morgen mit dem Arzt zu sprechen, vielleicht konnte ich ja etwas bewirken.«
Paine seufzte erneut.
»Aber am Morgen war Mrs. Rosenberg tot.«
»Welcher Arzt war das?« fragte Brown. »Ich habe seinen Namen absichtlich nicht genannt«, sagte Paine.
»Falls Mary ihm das übel genommen hat…«
»Das hat sie bestimmt nicht, so ein Mensch war sie nicht. Ich habe schließlich mit ihm darüber gesprochen, wieso er ihr die Medikamente verweigert hat, was ich übrigens für dumm halte, und er hat eingesehen, daß er einen Fehler gemacht hat.«
»Auf jeden Fall…«
»Verzeihung, Sir.«
Die Kellnerin, die ihre Getränke gebracht hatte, stand wieder am Tisch. Sie hielt eine Ledermappe in der Hand. »Ich habe Ihnen die Rechnung gebracht, Sir«, sagte sie. »Und, Sir?«
»Ja, Betsy?«
»Ihre Frau hat gerade angerufen. Sie möchten bitte ihren Schläger nicht vergessen, der neu bespannt wurde.«
»Danke, Betsy«, sagte Paine und unterschrieb die Rechnung.
Die Detectives sagten nichts, bis er ihr die Ledermappe zurückgegeben hatte und sie wieder gegangen war. Dann sagte Brown: »Der Name des Arztes, Sir?«
»Winston Hall«, sagte Paine.
»Da haben wir also einerseits«, sagte Brown, »den Mann, der die Station leitet und in höchsten Tönen von Mary schwärmt, die netteste Frau auf der Welt, ach je, was werde ich sie vermissen, sie hat mit jedem
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