Big Bad City
Zügel etwas lockern. Laß mir etwas Spielraum, Carmelita. Ich muß mir dann und wann auch mal ein Paar gute Schuhe kaufen können. Das Problem ist vielleicht dadurch entstanden, daß sie eine eigene Wohnung hatte. Jede Schwester unseres Ordens erhält das übliche Stipendium von der Diözese, in unserem Fall zehntausend Dollar pro Jahr. Die Hälfte davon fließt nach San Luis zurück, um das Mutterhaus zu unterhalten und Schwestern zu unterstützen, die im Ruhestand leben oder erkrankt sind. Kates Gehalt wurde auch hierher überwiesen. Als examinierte Krankenschwester verdiente sie fast fünfzigtausend Dollar pro Jahr. Das Mutterhaus hat ihr ein Budget entsprechend ihren Bedürfnissen zugeteilt. Davon konnte sie durchaus leben. Sie hat schließlich ein Armutsgelübde geleistet. Das heißt nicht, daß sie hungern mußte. Aber sie konnte auch kein extravagantes Leben führen.«
»Dann ist das nicht erst seit kurzem vorgekommen? Daß sie sich über Geld beklagt hat?«
»Keineswegs. Doch sie war es eine Zeitlang gewöhnt, sich selbst um ihre Finanzen zu kümmern. Und draußen entwickelt man eine gewisse finanzielle Unabhängigkeit.«
Carella hatte dies beim ersten Mal nicht mitbekommen, doch diesmal fiel es ihm auf.
»Was meinen Sie damit?« fragte er. »Wie ich das verstanden habe, ist sie seit sechs Jahren Nonne. Oder irre ich mich da?«
»Nein. Sie ist vor sechs Jahren dem Kloster beigetreten und hat ihre Ausbildung begonnen. Sie fing als Postulantin an… tja, wissen Sie, wie das läuft, Detective?«
»Da bin ich mir nicht ganz sicher.«
»Die Ausbildung in unserem Orden … es gibt nämlich viele Orden katholischer Schwestern auf der Welt, und alle handhaben es anders. Wir alle haben natürlich unsere Hingabe an Christus gemeinsam. Doch alles andere … o je«, sagte sie, und Carella konnte sich vorstellen, wie sie die Augen verdrehte, genau, wie Annette Ryan es getan hatte. »Kates Familie war nämlich nicht damit einverstanden, daß sie dem Orden beitrat. Sie hätte bestimmt einen Anfall bekommen, hätte sie miterlebt, wie Kate das durchmachte, was ich >Gottes Straflager< nenne …«
Es ist, als hätte es das zweite Vatikanische Konzil niemals gegeben.
Die Rektorin der Postulantinnen ist ein Schlachtroß von Nonne, die ihren Habit wie eine Rüstung trägt. Ausgerechnet sie führt die Novizin Katherine Cochran zu dem kasernenähnlichen Gebäude, in dem sie während ihrer Ausbildung in den nächsten Jahren gemeinsam mit achtzehn anderen Frauen wohnen wird. Der Raum, den sie betritt, ist in jeder Hinsicht streng. Der Boden besteht aus weißen Holzbohlen, die Wände sind weiß verputzt. Hoch in einer Wand befindet sich ein kleines Fenster, das einen Blick auf einen Garten bietet, in dem Kate nun - in diesem Sommer vor sechs Jahren - so ziemlich die gleichen Vögel hören kann wie Schwester Carmelita, während sie das alles einem Detective erzählt, der sich fast fünftausend Kilometer von ihr entfernt befindet. In dem Raum steht ein hölzernes Bett, auf dem eine dünne Matratze und ein Kopfkissen in einem altmodischen Bezug mit Knöpfen liegen, darauf ein schlichtes hölzernes Kruzifix. In einer Ecke steht ein Stuhl. An einer Wand hängt ein Vorhang, der einen Schrank mit einem Regal und einer Kleiderbügelstange verbirgt. Auf einer kleinen Kommode stehen eine Waschschüssel und eine Wasserkanne. Die ganze Nacht über fragt sich Kate, ob sie das Richtige getan hat, das Richtige tut. Sie hört das sanfte Schnarchen einer Postulantin in der Zelle nebenan. Sie ist sehr weit weg von zu Hause. Endlich schläft sie ein. Und endlich ist irgendwie Morgen.
Eine Glocke ertönt, ruft die Postulantinnen und die Novizinnen und die vierundsiebzig Nonnen, die die Profeß bereits abgelegt haben und im Mutterhaus wohnen, zum Gebet. Die Dämmerung ist noch nicht angebrochen. Der Himmel hinter Kates kleinem Fenster wird von der Morgenröte rosa gefärbt. Bevor sie am heutigen Abend schlafen geht, wird sie im Gemeinschaftswaschraum am Ende des Ganges duschen, doch an diesem Morgen begnügt sie sich damit, sich das Gesicht, die Hände und Unterarme mit einem einfachen Riegel weißer Seife und Wasser zu waschen, das sie aus dem Krug in die große weiße Schüssel gießt. Das Wasser ist kalt. Obwohl Kate sich in Zukunft ihre bescheidene Kleidung selbst aussuchen darf, hat sie sich während dieser eindringlichen Orientierungsphase für den traditionellen Habit des Ordens entschieden. Ihre Tracht besteht aus einem
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