Big Bad City
Vermittlung nach der Ortszeit und den Gebühren. Das war eine Polizeiangelegenheit, und er war ein armer, überarbeiteter und unterbezahlter Diener des Gesetzes, der hoffte, man würde ihm seine Kosten erstatten, wenn er eine Quittung vorlegte. Hier im Osten war es zwanzig Uhr, und sie waren gerade mit dem Abendessen fertig. In San Luis Elizario war es siebzehn Uhr, und er hoffte, daß die Nonnen im Kloster nicht so früh zu Abend aßen. Er hoffte, daß sie nicht noch bei der Vesper oder so waren. Er hoffte, daß Schwester Carmelita Diaz, die Mutter Oberin des Ordens der Sisters of Christ’s Mercy, sich nach ihrer langen Heimreise aus Rom am Vortag gut erholt hatte. Er hoffte, daß Gott ihr den Namen der Person ins Ohr geflüstert hatte, die Mary Vincent ermordet hatte. Oder Kate Cochran, wie sie vielleicht auch hieß.
»Hallo?« sagte sie. »Detective Carella?«
»Ja, wie geht es Ihnen, Schwester?«
»Ach, gut«, sagte sie. »Ein kleiner Jetlag, aber ansonsten gut.«
In ihrer Stimme schwang nur ein leichter Anflug eines spanischen Akzents mit. Aus irgendeinem Grund stellte er sich eine großgewachsene Frau vor. Groß, grobknochig, breit in der Taille. Sie trug den traditionellen schwarzen Habit des Ordens, wie Schwester Beryl im Kloster Riverhead. Er glaubte dort drüben in Kalifornien Vögel zwitschern hören zu können. Er stellte sich ein Gebäude im spanischen Stil vor, das ganz aus Stuck und Fliesen bestand, aus Bögen und Brüstungen, ein cremefarbenes Gebilde, ein Denkmal zu Ehren Gottes am Meeresufer.
»Höre ich da Vögel?« fragte er.
»Oh, ja, alle möglichen Vögel, man könnte glauben, der Heilige Franziskus sei auf Besuch hier.«
Er wagte nicht zu fragen, wie alt sie war. Ihre Stimme klang ziemlich jung und robust. Erneut stellte er sich eine große Frau vor, vielleicht Anfang Vierzig.
»Befindet das Mutterhaus sich in der Nähe vom Meer?« fragte er.
»Vom Meer? Oh, nein. Wir befinden uns in der Innenstadt von San Luis Elizario, um genau zu sein. Das Meer? Herrje, das Meer ist sechzig Kilometer entfernt. Sagen Sie mir bitte, was passiert ist. Wir sind hier wie betäubt, wir alle kannten die arme Katie so gut.«
Er erzählte ihr, daß sie ermordet worden war, daß man ihre Leiche…
»Wie?« fragte sie sofort. »Erwürgt«, sagte er.
… ihre Leiche in einem großen Park mitten in der Stadt gefunden hatte …
»Im Grover Park«, sagte sie. »Ja. Sie waren schon mal hier?«
»Schon oft.«
… mitten in der Stadt, eigentlich ganz in der Nähe des Polizeireviers. Das war am vergangenen Freitag gewesen, dem Einundzwanzigsten. Er habe bereits mit vielen ihrer Freunde und Kollegen gesprochen, mit Schwestern im Orden, Ärzten und Krankenschwestern, einem Priester namens Pater Clemente…
»Our Lady of Flowers«, sagte sie.
»Ja.«
»Ein wunderbarer Mann.«
… doch bislang hätten sie nicht den geringsten Hinweis darauf, warum sie ermordet worden sei. Falls es nicht irgend etwas gäbe, wovon sie noch nichts wüßten. Etwas, das sie vielleicht Schwester Diaz anvertraut habe …
»Ach, sagen Sie bitte Carmelita zu mir«, warf sie ein. »Ich bin der Ansicht, wenn ich mich >Schwester< nennen lassen muß, damit die Leute wissen, daß ich Nonne bin, bringe ich Christi Botschaft nicht richtig rüber. Man sollte wissen, daß ich Nonne bin, wenn man mich nur ansieht.«
»Das Problem ist, ich kann Sie nicht sehen«, sagte Carella.
»Ich bin einsfünfundsechzig groß und wiege dreiundfünfzig Kilo. Ich habe kurzes braunes Haar und braune Augen, und ich sitze im Augenblick im Sonnenschein in einem kleinen Garten vor meinem Büro und rauche eine Zigarette. Deshalb hören Sie auch den Lärm der Vögel. Wie kommen Sie denn darauf, daß Kate irgend etwas verborgen hat?«
»Das habe ich nicht behauptet.«
»Aber irgend etwas bereitet Ihnen Kopfzerbrechen. Was, Detective?«
»Na schön«, sagte er. »Wir vermuten, daß jemand sie vielleicht erpressen wollte.«
Carmelita lachte schallend auf.
Ihr herzhaftes Lachen verstärkte die Vorstellung von einer großen Frau in einem weiten Habit. Einsfündundsechzig, dachte er.
»Das ist absurd«, sagte sie. »Was könnte man denn schon von einer Nonne erpressen?«
Genau das hatte Lieutenant Byrnes auch gesagt, vielen Dank.
»Hatte sie Schulden? Sie schien Geldsorgen zu haben.«
»Meinen Sie damit ihr Budget? Ich befürchte, sie hat sich immer über ihr Budget beschwert. Ist nie mit dem Geld ausgekommen. Hat mir immer in den Ohren gelegen, ich sollte die
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