Big Bad City
dreiviertellangen schwarzen Rock und einem schwarzen T-Shirt von Gap, schwarzen Socken, schwarzen Schuhen mit Gummisohlen. Auf dem Kopf trägt sie eine schwarze Haube, an der der weiße Schleier befestigt ist. Schweigend folgt sie den anderen mit gefalteten Händen den weiß getünchten Gang entlang zur Kapelle.
Die Rektorin der Postulantinnen, deren Name Schwester Clare lautet, steht hinter dem Altar und schaut den jungen Frauen entgegen, die die Blicke gesenkt und die Köpfe gebeugt halten.
»Lieber Gott«, sagt sie, »öffne meine Lippen.«
Die Matutin ist die erste Morgenandacht.
Kates Tagesablauf orientiert sich an Gebeten.
Die sieben Gebetszeiten.
Die Prime findet um sechs Uhr statt, die Terze um neun. Die Sexte wird zu Mittag gesprochen. Die None ist das Drei-Uhr-Gebet, die Vesper das Abendgebet. Und die Komplet wird vor dem Schlafengehen gesprochen.
Ein geordnetes Leben.
Ein ritualisiertes.
Hier gibt es strikte Regeln.
Obwohl die Zahl der Frauen, die sich für ein religiöses Leben entscheiden, ständig zurückgeht - in Kates Jahrgang waren es nur neunzehn, verglichen mit einhundertundvier im Jahr 1965 - hat die Intensität der Ausbildung des OSCM nicht im geringsten nachgelassen. Postulantinnen dürfen nicht mit Novizinnen im zweiten Jahr oder Nonnen sprechen, die bereits das Ordensgelübde abgelegt haben, und die sind sowieso alle über fünfzig oder sechzig. Sie dürfen nicht das Zimmer einer Novizin betreten. Sie dürfen nicht gegen das Schweigegebot verstoßen. Sie dürfen sich nicht zum Morgengebet verspäten. Sie dürfen sich nicht privat mit einer anderen Schwester treffen. Sie dürfen nicht…
»Tja, das hört sich wirklich sehr nach einem Straflager an«, sagt Carmelita und lacht erneut. »Aber sie lernen, von der materiellen Welt abzulassen und sich auf ihr spirituelles Ich zu konzentrieren. Sie lernen, freudig Opfer zu bringen, denn die, die Christus folgen, werden hundertfach entlohnt.«
Kate kommt das sechsmonatige Postulat wie eine Ewigkeit vor.
Als Schwester Carmelita sie schließlich fragt, ob sie wirklich eine Berufung habe, antwortet sie: »Ja, Schwester.«
»Und fühlst du dich bereit, ein Jahr der konzentrierten geistlichen Vorbereitung auf deine ersten Gelübde zu beginnen?«
»Ja, Schwester.«
»Bist du bereit, dich völlig den Aufgaben des Apostolats zu widmen?«
»Ja, Schwester.«
»Alles aufzugeben, um unserem Herren Jesus Christus zu dienen…«
»Ja.«
»… denn er, der die Lilien des Feldes kleidet und für die kleinen Sperlinge sorgt, kümmert sich unendlich mehr um die Bedürfnisse seiner Bräute.«
Kate wird gebeten, einen neuen Namen auszuwählen.
Sie entscheidet sich für »Mary« nach der Mutter Jesu und für »Vincent«, den Namen ihres Bruders, aber auch den eines Heiligen. Wenn sie später die Profeß abgelegt hat, kann sie selbst entscheiden, ob sie den Namen behält, den sie am Anfang ihres Noviziats ausgewählt hat. Doch als sie ihre Ausbildung in den Heiligen Regeln, den Verpflichtungen des Gelübdes und dem geistlichen Leben beginnt, ist sie Schwester Mary Vincent.
Ein Jahr später, gerade, als sie bereit ist, die ersten Gelübde abzulegen, teilt sie Schwester Carmelita mit, daß sie den Orden verlassen möchte.
9
»Das wird >genehmigte Ausschließung< genannt«, sagte Carella.
»Hört sich irgendwie unanständig an«, sagte Brown.
»Es handelt sich um eine Art Beurlaubung von der Diözese. Jedenfalls lief es darauf hinaus, daß Kate für ein Jahr aussteigen wollte.«
»Das hat dir der Oberpinguin erzählt?«
»Gestern abend am Telefon.«
»Und das geht so einfach? Man kann einfach sagen: >He, ich glaube, ich will mal für ein Jahr nach Hause, bis später also!<«
»So einfach ist das nicht. Es gibt komplizierte Kirchengesetze, die das alles regeln. Wie Carmelita es mir erklärt hat, ist die genehmigte Ausschließung keine Buße, sondern eine Gunst. Sie dient dazu, der Nonne zu helfen, eine Berufungskrise zu überwinden. Sie wird nur gewährt, wenn es Hoffnung auf Erholung gibt.«
»Du meinst, wenn sie davon ausgehen können, daß sie zurückkommt.«
»Genau. Carmelita hat die Sache mit ihrem Kabinett besprochen, und sie haben überlegt, wie sie Kate am besten helfen können. Die damals schon Mary Vincent war, vergiß das nicht. Ich frage mich, warum sie den Namen ihres Bruders gewählt hat.«
»Dürfen sie denn überhaupt Männernamen auswählen?«
»Carmelita sagt, das sei erlaubt, solange es sich um die 168 ED McBAIN von
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