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Bilder aus der Anderwelt

Bilder aus der Anderwelt

Titel: Bilder aus der Anderwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon R. Green
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keine Angst und kannte keine Gnade.
    Nur akkreditiertes Personal kam auch nur in die Nähe der Büros. Diese Leute besaßen besondere Dimensionsschlüssel, die mit der Seele des Besitzers verschmolzen waren, um einen Diebstahl zu verhindern. Dennoch wurden die Büros jeden Tag aufs Neue angegriffen. Das Blatt druckte die Details jedes fehlgeschlagenen Angriffs ab, nur um noch Salz in die Wunde zu reiben. Trotz allem erschien der Unnatural Inquirer täglich, voll mit allen Dingen, die den Reichen und Schönen das Leben vergällten, weil sie besser nicht an die Öffentlichkeit gekommen wären. Es gab keine Auslieferungslaster mehr; die wurden immer mit Molotowcocktails beworfen. Neue Ausgaben der Zeitung erschienen einfach aus dem Nichts und materialisierten sich direkt neben den Zeitungsständen in der ganzen Nightside, frisch aus der Druckpresse. Niemand legte sich je mit den Zeitungsverkäufern selbst an, aus Angst, von den fanatischen Anhängern des Blattes auf der Stelle gelyncht zu werden.
    Wenn man den Unnatural Inquirer ausgelesen hatte, warf man ihn einfach weg. Er verschwand automatisch und kehrte in die D ruckerei zurück, um für die nächste Ausgabe recycelt zu werden. Nicht einmal die Night Times hatte das drauf, und noch niemand war auf die Idee gekommen, Fish and Chips in den Unnatural I nquirer zu wickeln.
    Andererseits waren die Reporter und Mitarbeiter der Night Times weithin bekannt und wurden respektiert und geschätzt. Die Leute vom Unnatural Inquirer wurden oft erschossen, sobald man ihrer ansichtig wurde (besonders die Paparazzi), und wenn man dennoch lange überlebte, konnte man es wenigsten zu einem Promi aus der zweiten Reihe bringen. Die Burn-out-Rate der Belegschaft war enorm hoch, doch es gab erstaunlicherweise immer mehr Mitarbeiter, die in den weitläufigen Trakten auf ihre Chance lauerten. Falls es einem nicht in die Wiege gelegt wurde, etwas Besonderes und berühmt zu werden, war die beste Alternative, jemand zu sein, der jeden kannte und der auf jeder Party willkommen war.
    „Hallo, John Taylor! Gut, dich wiederzusehen, alter Knabe! Immer noch beschäftigt damit, berüchtigt und rätselhaft zu sein?"
    Ich zuckte innerlich zusammen, als ich mich umdrehte, um dem Mann entgegenzutreten, der mich so fröhlich begrüßt hatte. Ich hätte wissen müssen, wen die Zeitung schicken würde. Harry Fabelhaft war Hehler, Krimineller und einer der angesagtesten Dealer der Nightside — für all die kleinen und sauteuren Dinge, die das Leben erst so richtig lebenswert machen. Möchten Sie echten Roten Marsianer rauchen, sich eine Linie Hyde ziehen oder es mit der Kindheit von jemand anderem treiben (Unschuld ist in der Nightside immer der Renner)? Dann ist Harry Ihr Mann. Er wird Ihnen mit einem fetten Lächeln und einem herzlichen Händedruck den letzten Penny aus der Tasche leiern.
    Zumindest hatte der alte Harry das getan. Anscheinend hatte er eine Erfahrung im Hinterzimmer eines Clubs gemacht, der nur für Mitglieder die Türen öffnete, die sein Leben von Grund auf verändert hatte, und jetzt war er darauf aus, Gutes zu tun. Ehe es zu spät war. Es geht doch nichts über einen kleinen Blick in die Hölle, um das Gewissen eines Mannes mit einem Defibrillator aus dem Koma zu holen.
    Harry war wie immer fabelhaft angezogen und sah aus wie aus dem Ei gepellt. Er trug einen langen Mantel und die Innentaschen quollen mit allem möglichen Kram über, für den man wahrscheinlich viel zu viel Geld ausgeben konnte. Er hatte ein längliches Gesicht, einen hageren, hungrigen Ausdruck und dunkle, fast gehetzte Augen. Er lächelte mich lässig an, ein geübtes Lächeln, das ich postwendend erwiderte.
    Schließlich waren wir Profis.
    „Wusste gar nicht, dass du für den Unnatural Inquirer arbeitest", sagte ich.
    „Ich bin nur ein Informant", meinte er zögernd. „Man kommt so herum, und mir kommt so dies oder das zu Ohren. Also ... bin i ch geschickt worden, um dich zum Hauptbüro zu bringen, alter Knabe. Tut mir leid, wenn du warten musstest, aber ich musste sicherstellen, dass dir niemand gefolgt ist." „Harry", sagte ich. „Denk mal scharf nach, mit wem du gerade redest."
    „Natürlich! Absolut! Reine Formsache."
    Er fingerte in seinem langen Mantel umher und zog einen gewöhnlich aussehenden Schlüssel hervor. Er sah sich verstohlen um, drehte sich zu mir um, um den Passanten keinen Einblick auf sein Hantieren zu gewähren, und steckte den Schlüssel in ein unsichtbares Schloss, das offensichtlich

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