Bilder bluten nicht
Ton nicht, Monsieur Burma.“
„Wirklich, Mademoiselle, ich verstehe nicht...“
„Wenn Sie auch glauben... wenn Sie glauben, daß... daß ich Etienne getötet habe... dann können Sie gleich gehen Sie stampfte auf:
„...Gehen Sie!“
„Ich glaube nichts dergleichen“, sagte ich sanft.
Genauso schnell, wie sie aufgebraust war, beruhigte sie sich wieder.
„Entschuldigen Sie“, seufzte sie. „Das sind die Nerven... Schicken Sie ihn hoch!“ schrie sie fast in den Apparat.
Sie setzte sich wieder, diesmal darauf bedacht, nicht zuviel zu zeigen. Kurz darauf klopfte es an der Tür. Auf die Aufforderung der jungen Frau hin öffnete ich einem Burschen, der mich sofort mit dröhnender Stimme anfuhr:
„Guten Abend, Süße!“
„Ich nehme an, Sie meinen nicht mich“, gab ich zurück.
„Oh! Pardon!“ stotterte er und wich zurück.
Er roch nach Alkohol und hatte den typischen Teint von Leuten, die spät aufstehen und nicht zeitig Schlafengehen. Er war gut gekleidet, mit vielleicht ein wenig fragwürdiger, aber nicht übertriebener Eleganz. Jung. Braune Augen. Darunter Ringe in der gleichen Farbe. Eine gerade, ziemlich lange Nase, an der Spitze mit einem feinen Netz von blauen Äderchen verziert. Sohn aus einer ständig angeheiterten Familie oder harmloser Halbweltganove. Ganz hübscher Junge, trotz seines hepatitischen Säuferzinkens, und genau besehen auch sympathisch. Kräftiger, als er auf den ersten Blick schien. Sieh an! Übrigens, warum nicht? Der Typ Journalist der neuen Schule, der „Okay“ sagt, seine Füße auf den Tisch legt und den Hut trägt wie ein Halbstarker aus diesen amerikanischen Filmen.
„Treten Sie ein“, sagte ich. „Wir werden eine Party zu dritt veranstalten.“
„Was...“
„Treten Sie ein“, befahl Geneviève Levasseur von ihrem Lehnsessel aus.
Er trat ohne ein weiteres Wort ein, stellte sich mitten ins Zimmer, sah das Mädchen an, dann mich.
„Darf ich Ihnen Monsieur Burma vorstellen“, sagte unsere Gastgeberin.
„Nestor Burma?“
Er kratzte sich die Nasenspitze.
„Er ist Detektiv“, präzisierte sie.
„Ah ja“, sagte er. „Kenn ich vom Namen...“ Er lachte. „...Er soll das Bild wiederfinden?“
„Welches Bild?“
„Stellen Sie sich nicht so blöd!“ schimpfte er. „Ihr Liebhaber war ein Dieb. Er hat im Louvre ein Bild gestohlen. Er ist tot und...“
Seine Stimme versagte. Er sah sich nach einer Sitzgelegenheit um, fand eine und ließ sich darauf fallen. Er wischte sich die Stirn ab. Ein Unwohlsein, wahrscheinlich wegen der Hitze, die in diesem Zimmer herrschte, oder wegen des genossenen Alkohols. Geneviève, der süße Käfer, sprang wie ein Teufel aus ihrem Lehnsessel. Zitternd, mit vor Wut bebender Brust und blitzenden Augen, stand sie da. „Hören Sie es, Monsieur Burma?“ brüllte sie. „Hören Sie es? Er diffamiert mich. Dieser Dreckskerl diffamiert mich. Er...“
„Wir wollen doch nicht die Nerven verlieren“, sagte ich. „Er diffamiert Sie nicht. Er sagt nur, daß Ihr Liebhaber ein Dieb war. Es gibt gute Gründe für diese Annahme. Er sagt, daß er tot ist. Das stimmt ebenfalls.“
Sie warf mir einen vernichtenden Blick zu:
„Dann sind Sie also auch gegen mich?“
Ich zuckte mit den Achseln:
„Seien Sie still. Wenn man es genau bedenkt - falls Sie in der Lage sind nachzudenken -, haben Sie mich angestellt, um diesen Kerl rauszuschmeißen?“
„Ja!“ schrie sie. „Werfen Sie ihn vor die Tür. Schmeißen Sie ihn aus dem Fenster! Das wäre noch besser. Wir sind hier im fünften Stock.“
„Kleinigkeit für mich“, scherzte ich. „Ich bin nicht hergekommen, um mich im Gefängnis auszuschlafen. Aber man wird das doch wohl anders in Ordnung bringen können.“
Ich ging zu Chassard und hob ihn an den Revers seines Mantels hoch. In seinem verstörten Blick stand die nackte Angst.
„Ich werde Sie nicht fressen“, sagte ich.
Genauso unvermittelt ließ ich ihn wieder los. Er schnaubte, tat einen Schritt zurück.
„Ich gehe“, sagte er.
„Bleiben Sie!“
Er blieb stehen.
„Hören Sie, M’sieur Chassard“, sagte ich. „Wovon leben Sie?“
Er zögerte, dann:
„Ich schlag mich so durch.“
„Wenigstens sind Sie offen.“
„Warum sollte ich es nicht sein?“
„Weil Sie schon so offen sind, packen Sie aus.“
„Ich habe nichts auszupacken.“
„Sie sind beide verrückt.“
„Beide?“
„Sie und Mademoiselle.“
Geneviève Levasseur, die sich wieder hingesetzt hatte, rief mich streng zur
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