Bilder bluten nicht
Karre über den Haufen gefahren wurde, hat sich sein Koffer geöffnet, und unter dem ganzen Kram war auch die Brieftasche.“
„Die Brieftasche?“
„Na klar, die Brieftasche. Er hatte sein Moos nicht in der Tasche. Hatte zuviel davon. Es hätte nicht hineingepaßt. Also, außer der Brieftasche, die er bei sich hatte, war noch eine im Koffer. Als ich sie aufmachte, diese Brieftasche... ach Gott!... Eigentlich kann ich Ihnen auch alles sagen, nicht wahr? Ich hatte ein wenig aus der Kasse hier rausgenommen. Wegen Pferderennen. Nun, da hab ich was aus der Brieftasche genommen. Oh, sehr geschickt hab ich das gemacht, das kann man wohl sagen, als ich diese ganzen Sachen eingeräumt hab, Hemden, Socken, Unterhosen, den ganzen Plunder!“
„Ist das alles?“
„Scheiße! Was wollen Sie noch? Und jetzt können Sie die Polente rufen, rufen Sie sie..
„Jetzt langt’s“, unterbrach ich.
Ich sah ihm fest in die Augen. Er hatte Schiß, nichts anderes als Schiß. Schiß vor den Flics, weil er in die Brieftasche von Lheureux gegriffen hatte.
„Äh... Sie sehen nicht zufrieden aus“, sagte er.
Er versuchte, seine Angst durch Ironie zu kaschieren.
„...Ich wußte nicht, daß Sie so auf Moral herumreiten. Scheiße! Ein Privatschnüffler! Bei dem Leichen gefunden werden! Na ja... das steht in den Zeitungen.“
Ich ging zur Tür:
„Ich geb einen Dreck um Zeitungen und Moral.“
Er sah mich verblüfft an, dann fing er an, nervös zu lachen. Er konnte es gar nicht fassen, daß er so glimpflich davongekommen war.
***
Von der Telefonkabine des Bistros an der Ecke gegenüber den Magasins du Louvre rief ich mit verstellter Stimme das Hotel an und ließ mich mit Hélène verbinden.
„Hallo!“ sagte Hélène.
„Hier Ubu. Sie können aufhören.“
„Haben Sie erreicht, was Sie wollten?“
„Nein. Aber hören Sie trotzdem auf. Ich habe mich vergaloppiert. Sie können zum Schlafen nach Hause gehen. Und den Trott im Büro wiederaufnehmen, ab morgen.“
„Mein Lieber, ich habe für eine Woche im voraus bezahlt. Das werde ich abwohnen. Es liegt zentral, und ich brauch mein Bett nicht zu machen.“
„Wie Sie wünschen.“
Draußen kaufte ich die neuesten Ausgaben der Abendzeitungen, die ich lesen wollte, während ich eine Kleinigkeit aß. Ich kümmere mich nämlich mehr als einen Dreck um Zeitungen. Ich erfuhr aus ihnen, daß das Auto von Birikos in der Gegend des Trocadéro gefunden worden war. Man hoffte, Fingerabdrücke zu entdecken. Das war alles. Sehr gut.
Ich ging in meine Wohnung, um mich für die Eröffnung von der „Grille“ feinzumachen, wobei ich mir wünschte, daß Larpents undurchsichtige Witwe (vielleicht seine rechte Hand?) sich durch ihre Trauer nicht davon abhalten lassen würde, diese Gesellschaft von Künstlern mit ihrer Anwesenheit zu beehren.
Ich rasierte mich, als sich eine andere Grille meldete. Das Telefon. Ich ließ es klingeln. Das war bestimmt Marc Covet mit seinem Informationsdurst. Im Augenblick brauchte ich den Journalisten nicht, und ich hatte ihm auch nichts zu erzählen.
Ich brachte ein wenig Ordnung in meine Brieftasche, was mich an die von Louis Lheureux erinnerte. Dieser Aufgabe widme ich mich ungefähr alle zwei Jahre, wenn ich die kleine Aufräumungs- und Säuberungsaktion nicht länger aufschieben kann. Ich behielt nur das Allernotwendigste: meine Ausweispapiere und etwas Geld. Eine elegante, extra flache Brieftasche. Aber ich kannte mich; es würde nicht mehr lange dauern, und sie würde angefüllt sein mit einer ganzen Sammlung von Kleinigkeiten: Prospekte, Zeitungsausschnitte, hingekritzelte Notizen auf Zeitungsrändern usw. Ich stopfte den ganzen Papierkram in eine Schublade: Mahnungen vom Finanzamt, politische Flugblätter und Reklamezettel, Adressen von Straßenfotografen. Auch zwei Fotos. Eins von mir, das andere von Hélène, Meisterwerke anläßlich eines Ausflugs aufs Land.
Ein kleines, durchsichtiges Papiertütchen, in dem wohl ebenfalls ein Foto gewesen war, enthielt nichts als Staub. Ich wollte es gerade wegwerfen, da kam mir der Gedanke, das dazu passende Foto zu suchen. Es stimmte nicht mit dem Format der ländlichen Schnappschüsse überein... Auch nicht mit dem eines anderen Bildes.
Plötzlich fiel es mir ein. Genauer gesagt, es fiel mir ein, als ich in einer Ecke des Tütchens, mit Bleistift geschrieben und deutlich ausradiert, die Initialen L.L. entdeckte. Dieses Tütchen hatte das Foto von Louis Lheureux enthalten, das mir von seiner Frau
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