Bilder bluten nicht
und mich. Aber ich warne dich: ich hab das Gefühl, daß dieses Bild seit ein paar Tagen viel von seinem Wert verloren hat. Es hängen so viele Tote dran! Wird schwierig sein, einen Interessenten zu finden. Von vier Leichen aufwärts wird es riskant. Aber gut, für mein Leben und das von Geneviève trete ich dir den Raffael ab. Ich geb einen Dreck um Raffael. Ich bin ein Freund von Frédéric Delanglade und Oscar Dominguez. Und dann Raffael, stell dir das vor!“
„Du erzählst Märchen.“
„Du bist ganz schön abgebrüht, hm, Larpent? Ein pfiffiges Bürschchen? Läßt dich nicht reinlegen, hm? Du hast recht. Das sind Märchen. Ich habe gesagt: das Bild ist nicht mehr hinter dem Spiegel. Genauso hätte ich sagen können: das Pfarrhaus...“
„Hör auf mit dem Pfarrhaus.“
„Gern. Ich bin Atheist. Also, das war ein Märchen. Noch ein Märchen: Es waren einmal Zwillinge, die sich sehr ähnelten, was vielleicht nicht erstaunlich ist, aber dazu geeignet, jemanden hinters Licht zu führen, der sie nicht gut kannte und sie nicht zusammen sah. Möchtest du noch ein paar Märchen von der Sorte hören?“
Er hob eine Augenbraue, wie ein Clown.
„Und ich habe dich für einen Trottel gehalten! Erzähl alles, was du weißt, Burma. Ich werde ja sehen, ob du bluffst oder ob ich deiner Geschichte mit dem Spiegel glauben kann.“
„Du kannst ihr sofort Glauben schenken. Das weißt du sehr gut.“
„Erzähl trotzdem...“
„Schön. Ich mache sehr gerne Eindruck. Vor allem bei den Damen...“
Ich lächelte Geneviève traurig und sanft zu.
„...Also, unsere beiden Brüder begingen Betrügereien. Da sie aus einem Kaff stammten, das der Erste Weltkrieg ausradiert hatte, gab es kein verräterisches Standesamt mehr, nichts. Nur noch Brennesseln. Wenn die Flics den Betrüger Daumas in der einen Ecke vermuteten, tauchte er woanders auf. Irrlicht. Du warst damals schon gerissener als dein Bruder, denn der hat sich schnappen lassen, nicht du. Aber dein Bruder lag vielleicht in Sachen Herz vorne. Ihr habt beide einer gewissen Aurélienne den Hof gemacht. Und wenn einer von euch mit ihr geschlafen hat, dann nicht du. Kann sein, daß ich die Geschichte erfinde. Aber ich brauche von irgendwoher eine Rivalität zwischen euch beiden, um deine Tat von neulich zu erklären. Denn - du erlaubst, daß ich dir das in aller Freundschaft sage - du wärst ein Oberarschloch, wenn du deinen Bruder einfach so umgelegt hättest, ohne wenigstens eine Entschuldigung zu haben: dein Haß, wenn der Grund dafür auch nebensächlich war und weit zurücklag. Gut. Also, eines Tages trennen sich die beiden Brüder. Du lebst, nehme ich an, weiterhin von größeren Diebstählen und hast dabei ganz schön Schwein, und dein Zwillingsbruder verzieht sich unter dem Namen Lheureux in die Provinz. Geheimnisumwittertes Leben...Na ja, egal... Eines Tages rückt er aus. Er fährt hoch nach Paris. Seine behinderte Frau beauftragt mich, ihn zu frankieren und zurückzuschicken. Ich finde ihn, und wir werden Freunde. Er lacht oft, wenn er mich ansieht, er scheint sich meine Visage was kosten zu lassen. Gezwungenermaßen, ein Vorbestrafter, vielleicht immer noch aktiv, von einem Detektiv beschützt! Er findet das lustig. So lustig, daß er mich im Jahr darauf freiwillig benachrichtigt. Wir laufen zusammen rum. Und jetzt 1954. Ungewohnlicher Ausflug...im Januar. Seine Jahreszeit war der Sommer. Und diesmal ruft er mich nicht an, um mir seine Eskapade anzukündigen. Warum nicht? Ich vermute..
Larpent seufzte:
„Du vermutest viel.“
„Das ist mein Beruf, mein Lieber. Also, ich vermute, daß du wieder Kontakt mit ihm aufgenommen hast, wobei ich annehme... Siehst du, ich nehme auch an... Ich vermute und nehme an...wobei ich also annehme, daß ihr den Kontakt nie abgebrochen habt... - und ich vermute, daß du ihm vorgeschlagen hast, mit dir zusammen ein Ding zu drehen. Zum dritten Mal von der Ehefrau auf die Suche geschickt, gabel ich meinen Lheureux im Riche-Bourriche auf. Er scheint nicht entzückt, mich zu treffen, und entwischt mir. Er hat mit dir bei den Hallen eine Verabredung wegen dieser berühmten Geschichte. Eine ganz ruhige Geschichte, eine Geschichte, die sich in die Länge zieht. Ihr geht in diesen Keller, den du wohl kennst, und hopp!, kein Lheureux mehr! Eine oder mehrere Kugeln haben ihn getötet und teilweise unkenntlich gemacht. Du brauchtest einen ruhigen Ort, wo wenig los war, um in Ruhe die Kleider tauschen zu können. Aber sobald das geschehen
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