Bilder von A.
über alle Maßen schnell bewilligt, und jeder von uns fing dann ein ganzneues Leben, sozusagen unter anderen Sternen an. In den ersten Jahren schrieben wir uns noch Karten zum jüdischen Neujahr, Schana Towa! , später verloren wir den Kontakt und haben uns dann nicht mehr wiedergesehen. Sascha starb einen frühen Tod.
Auf meinem Weg nach Frankreich habe ich damals Halt in der Stadt gemacht, in der A. gerade lebte und inszenierte und wo er mich fragte, ob ich nicht doch lieber dableiben wolle, er würde mir helfen, dort am Theater unterzukommen. Meine Entscheidung aber war getroffen, das Theaterleben beendet, ich hatte Schwung für eine große Veränderung genommen, um sozusagen richtig auszuwandern. A. fand das alles viel zu dramatisch, nun übertreib mal nicht, hat er gesagt, und wir haben gelacht.
Damals wußten wir beide nicht, daß wir uns nur noch ein einziges Mal in unserem Leben wiedersehen würden.
Von meinem Einleben in dem fremden Land habe ich A. in meinen Briefen wenig erzählt, und er hat auch nicht viel danach gefragt, und wie sollte ich es ihm erklären. Er zog zum Inszenieren durch Städte und Theater und verlor langsam die Lust daran, während ich hoffte, einmal dort anzukommen, wohin ich mich »weggeschafft« hatte, wie er das nannte. Aber in Wirklichkeit kommt man wohl nie wirklich an und kann sich lange keinen richtigen Reim machen auf all das, was man sieht und hört und erlebt in dem fremden Land. Das Buch des alten Lebens ist zugeklappt, und nun fällt Staub drauf.
Yoav spricht manchmal davon, daß er vielleicht nach Amerika, an irgendeine Universität gehen könnte, nicht für immer, nur für eine bemessene Zeit, ein paar Jahre. Aber mir macht die Idee Angst, noch einmal das Land zu wechseln. Wir sprechen oft darüber und denken darüber nach, ob es denn einen Ort gibt, an dem wir an unserem Platz wären, und wenn wo, und ich zitiere dann Kleist: … an einem Ort, an dem wir nicht sind, und in einer Zeit, die noch nicht da oder schon vergangen ist.
Merkwürdigerweise bin ich in dem Land, in das ich ausgewandert bin, zu einer »richtigen Deutschen« geworden. Ich hatte zu schreiben begonnen, auf Deutsch natürlich, Bücher, Artikel, Berichte fürs Radio, Notizen, Geschichten, in denen ich mich dessen zu vergewissern suchte, was ich fühlte, dachte, erlebte und woran ich mich erinnerte. Da ich eigentlich nur unter Juden lebte, mußte ich mich plötzlich als Deutsche rechtfertigen und fing an, Deutschland und die Deutschen zu verteidigen. Wenn jemand sagte, Deutsch igitt – Nazisprache, Sprache der SS, schleuderte ich ihm Kafka, Freud und Einstein entgegen. Und meinen allergrößten Trumpf: Herzl! Das Land, um das wir alle so bangen, ist in deutscher Sprache wiedererstanden.
Von dem, was ich schrieb, schickte ich A. manchmal ein Blatt oder berichtete ihm davon, mehr in Andeutungen, so wie er es auch tat, denn wir versteckten unsere Arbeiten zwar nicht voreinander, aber wir zeigten auch nicht viel davon her oder priesen sie uns gar gegenseitig an, und schon gar nicht unsere Erfolge, er hatte große, ich hatte kleine, denn Künstler wollten wir zwar sein, das schon, aber auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten mochten wir nicht mittun, das auf keinen Fall.
Nie hätte sich A. ein Buch von mir gekauft oder wäre zu einer Lesung gekommen. »Erst schreibt man für sich, dann schreibt man für die Freunde, und schließlich schreibt man für Geld« , zitierte er, das soll Molière gesagt haben, was mich wundert, aber vielleicht hat er ihn ja auch verwechselt. Der Widerspruch zwischen demSich-zur-Schau-Stellen, das wir doch gleichzeitig, wie jeder Künstler, auch erstrebten, und unserer Suche nach Gestalt und Wahrheit gehörte jedenfalls auch zu den unlösbaren Kasperletheater-Problemen, von denen wir uns umstellt sahen. Und leben muß man ja auch!
Gedichte, wie A. es mir einst vorausgesagt hat, habe ich nicht geschrieben, aber er beharrte doch auf seiner Prophezeiung. Als er einmal mit einer seiner Inszenierungen zu einem Gastspiel in Moskau war, schickte er mir eine russische Ausgabe mit Gedichten von Anna Achmatowa. Ich war traurig, als ich hörte, daß er ohne mich noch einmal nach Moskau gefahren war, aber er schrieb, wahrscheinlich, um mich zu besänftigen, es sei ohnehin nur eine furchtbare Strapaze gewesen, eine Art Staatsaffäre, vor der Vorstellung sei die Nationalhymne gespielt worden, und er habe überhaupt keine Zeit gehabt, jemanden zu sehen oder irgendwo hinzugehen, schon
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