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Bildnis eines Mädchens

Titel: Bildnis eines Mädchens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dörthe Binkert
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Muster auf dem Baldachin, er sah Nikas Gesicht, das sich von
     ihm abwandte, und den roten Abdruck, den ihre Hand auf seinem weißen Hemd hinterlassen hatte.
    Bice wusste vermutlich, wie man Blutflecken auswusch. Aber er zog es vor, ihr das Hemd nicht zu geben.
     
    Am nächsten Morgen schrieb er an Bice. Und an Alberto Grubicy, seinen Händler, den er postwendend und dringlich um eine Geldüberweisung
     bat.

Der venezianische Ball
    In dieser Nacht schlief Nika kaum. Noch vor dem Morgengrauen ging sie zum See und lief fröstelnd am Ufer entlang. Die Nächte
     waren schon kalt, auf den Wiesen lag der erste Raureif. Als sie den Weg zurück zum Hotel einschlug, kam ihr plötzlich Achille
     Robustelli entgegen.
    Auch er hatte schlecht geschlafen und brauchte frische Luft, um wach zu werden.
    »Segantini schickt mich fort«, sagte sie, als sie voreinander stehen blieben. Langsam brach die Dämmerung an, und sie sah
     das Erstaunen auf seinem Gesicht.
    »Warum sagst du mir das?«, fragte Achille.
    »Ich weiß nicht«, antwortete Nika.
    »Und ich konnte nicht schlafen«, bemerkte Achille.
    Schweigend gingen sie nebeneinander her.
    »Ich muss dringend mit dir sprechen«, sagte er schließlich. »Jetzt?«
    »Am besten, ja. Wahrscheinlich gehst du dann, auch ohne dass Segantini dich fortschickt.«
    Nika stieß mit dem Fuß einen Ast zur Seite, den der Wind heruntergerissen hatte. »Ich lasse mich nicht wegschicken«, gab sie
     zurück, »ich habe niemandem etwas getan.«
    »Schon gut«, sagte Achille.
     
    Robustelli schloss sein Büro auf und machte Licht. Nika schlotterte vor Kälte und Müdigkeit.
    »Warte«, murmelte Achille, »ich habe irgendwo ein Plaid.«Er fand die Decke und legte sie ihr um die Schultern. Wandte den Blick ab, als sie ihn ansah wie neulich schon, so, als kenne
     sie ihn gut. Er sah, dass sie die rechte Hand eingebunden hatte, und stellte fest: »Nicht sehr praktisch für den venezianischen
     Ball heute Abend.«
    »Es geht schon«, erwiderte sie und sah ihn wieder auf eine Weise an, die ihn wegblicken ließ. Er ging zur Schublade seines
     Schreibtisches.
    »Erschrick nicht, wenn ich dir jetzt etwas zeige. Es tut nichts zur Sache, wie der Gegenstand zu mir gelangt ist. Es gibt
     manchmal Dinge, die man nicht weiter hinterfragen sollte.« Er zog das Medaillon aus der Schublade. Nika schrie leise auf,
     aber da hatte Robustelli es ihr schon in die Hand gelegt.
    »Woher haben Sie das?« Nika war aufgesprungen und wollte zur Tür.
    »Ich sagte doch schon, das ist nicht von Bedeutung. Hör jetzt lieber, was ich dir sagen will!« Er drückte sie sanft auf den
     Stuhl zurück. »Jemand hat das Medaillon aus deinem Zimmer entwendet, und es ist durch Zufall bei mir gelandet. Aber das hat
     sein Gutes gehabt.« Er wusste nicht recht, wie er fortfahren sollte, um sie nicht allzu sehr zu erschrecken. »Nika, in das
     Medaillon, das offensichtlich dir gehört, denn es kommt aus deinem Zimmer, ist eine Rose eingraviert, die ich kenne. Oder
     glaube, wiederzuerkennen. Wenn ich mich nicht täusche, ist sie die Wappenblume einer venezianischen Familie.«
    Nika war weiß im Gesicht geworden.
    »Ich hole dir einen Kaffee«, sagte Achille und fuhr dann fort: »Du hast mir gesagt, dass du deine Mutter finden willst. Jetzt
     weißt du wahrscheinlich, wo du suchen musst.« Er hatte ihr nie verraten, dass er mehr über sie wusste, dass er nach Mulegns
     gefahren war, dass Segantini ihm ihre Geschichte erzählt hatte.
    Nika nickte nur benommen.
    Wenn man ein Leben lang nach etwas sucht, kann man sich nicht freuen, wenn man es findet. Nicht gleich. Die Seele ist langsam,
     viel langsamer, als die Ereignisse es sind.
    Als Achille mit dem Kaffee zurückkam, saß Nika noch immer unbeweglich da. Er hielt ihr die Tasse hin. Sie nahm einen Schluck,
     dann noch einen. Und dann begann die Tasse langsam in ihrer Hand zu zittern. Ihm war, als könne er dabei zusehen, wie seine
     Nachricht sie langsam erreichte. Achille fühlte sich hilflos. Nicht, weil er es nicht vermocht hätte, einen zitternden Menschen
     in die Arme zu nehmen und zu trösten, sondern weil es Nika war, die vor ihm saß. Er hatte Angst, sie zu berühren, Angst, dass
     die Unvernunft Besitz von ihm ergreifen könnte.
    Nika sagte noch immer nichts, und so fuhr er fort: »Ich sagte schon, ich bin mir nicht absolut sicher, was das Wappen angeht.
     Aber es sind zwei Gäste im Haus, der Graf Primoli und Signore Bonin, denen ich mit deiner Erlaubnis das Medaillon gern zeigen
    

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