Bille und Zottel 04 - Applaus fuer Bille und Zottel
dem Sattel und stürzte. Nathan galoppierte an dem Barrierensprung vorbei und kehrte im Schritt zu seinem ohnmächtig am Boden liegenden Herrn zurück.
„Nein!“ schrie Bille und stürzte vor.
Auch die anderen waren aufgesprungen. Klirrend fiel Florians Tasse vom Tisch. Im Publikum hörte man Stöhnen und Gemurmel. Dem Fernsehsprecher schien es die Sprache verschlagen zu haben. Niemand wollte begreifen, was da soeben passiert war.
Quer über den Rasen rannten zwei Sanitäter mit einer Trage. Herr Tiedjen schien immer noch bewußtlos zu sein. Ein Helfer führte Nathan am Zügel aus dem Parcours. Leutnant Ignazio ging an den Start. Bille liefen die Tränen über das Gesicht.
„Stellt ab - ich kann das nicht mehr sehen!“
„Das wäre unklug.“ Simon legte Bille den Arm um die Schultern. „So erfahren wir am schnellsten, was mit ihm los ist.“
„Du hast recht , entschuldige. Ich bin so durcheinander.“
„Wer hat denn hier eben so fürchterlich geschrien?“
Frau Henrich, gefolgt von ihrem Mann, kam ins Zimmer und sah mit unverhohlenem Mißfallen auf die beiden Mädchen.
„Man konnte ja glauben, das Haus wäre eingestürzt!“
„Wir haben alle geschrien“, sagte Florian gleichmütig und sammelte die Scherben seiner Tasse vom Teppich. „Herr Tiedjen ist schwer gestürzt. Vor dem letzten Hindernis im dritten Stechen — gerade als er dabei war, zu siegen.“
„Pssst!“ machte Daniel. „Hört doch mal!“
Leutnant Ignazio hatte einen Null-Fehler-Ritt geschafft. Er war der Sieger des Tages. Der Fernsehsprecher gab einen kurzen Überblick über die Plazierungen der Reiter und versprach, genauere Informationen über den Sturz von Herrn Tiedjen einzuholen. Auf dem Parcours bereitete man die Siegerehrung vor. Nach einer Weile meldete sich der Sprecher wieder.
„Wie ich soeben erfahren habe, meine Damen und Herren, hatte Hans Tiedjen bereits vor Beginn des dritten Stechens starke Schmerzen. Man spricht von einem Muskelriß und einer schweren Wirbelverletzung. Welche Auswirkungen das auf die weitere Laufbahn unseres Hans Tiedjen haben wird, vermag noch keiner zu sagen. Im besten Falle wird er einige Wochen — vielleicht auch Monate — pausieren müssen. Wir jedenfalls wünschen ihm von Herzen viel Glück und gute Besserung.“
Bille saß still und starr in ihrem Sessel und starrte auf den flimmernden Bildschirm, auf die bunten Punkte der Publikumsgesichter, auf die Kapelle, die jetzt einmarschierte und einen fröhlichen Marsch intonierte — und auf Nathan, der von einem Reiterfreund und Landsmann seines Herrn hereingeführt wurde, um sich für seinen zweiten Platz ehren zu lassen. „Was - was machen wir jetzt bloß?“ fragte sie kleinlaut.
Die anderen sahen sich bedrückt an.
„Nun — erst mal vielleicht ein Telegramm schicken. Und Blumen“, schlug Daniel zögernd vor. „Und dann müssen wir rauskriegen, ob er dort im Krankenhaus bleibt — oder hierherkommt. Vielleicht in eins in der Nähe.“
„Ich werde das für euch in die Hand nehmen“, sagte Herr Henrich. „Ich rufe in Nizza an und erkundige mich, in welchem Krankenhaus er liegt. Denkt ihr euch inzwischen den Text für euer Telegramm aus.“
„Ich möchte nach Hause“, sagte Bille leise. „Das heißt - ich möchte nach Groß-Willmsdorf hinüber. Mich um seine Pferde kümmern — das ist doch das einzige, was ich für ihn tun kann.“
Pläne für Herrn Tiedjens Heimkehr
Zwei Tage später kehrte Nathan heim. Klaus Krüger begleitete ihn, ein junger Turnierreiter aus dem Reitverein Neukirchen, der die Kosten für das Turnierreiten dadurch bestritt, daß er Herrn Tiedjens Pferde auf der Reise mitbetreute. Er selbst ritt den Grauschimmel Polarstern, der dem Reitverein gehörte. Polarstern war, wie sein Herr, ein Neuling auf den internationalen Parcours, aber er sprang gern, und es war zu erwarten, daß er noch eine große Karriere vor sich hatte. Schließlich war er erst sechs Jahre alt.
Auch für Klaus Krüger war Hans Tiedjen das große Vorbild, obgleich er nie das Glück gehabt hatte, von ihm unterrichtet zu werden — wie Bille und ihre Freunde. Aber er besaß genau das Einfühlungsvermögen, das Herr Tiedjen bei einem Reiter als wichtigste Voraussetzung betrachtete. Das Wohlbefinden seines Pferdes war ihm wichtiger als alle Siege, und er besaß eine große Portion Geduld.
Bille hatte Klaus Krüger bisher nur flüchtig kennengelernt, wenn er mit Herrn Tiedjen gemeinsam auf die Reise ging. Jetzt bestürmte sie ihn mit
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