Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt

Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt

Titel: Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fuenfte Offenbarung
Vom Netzwerk:
klassischen Fall wie den ihren zu behandeln. (Für kein Gold der Welt hätte sie den Ausdruck banal verwendet.) Den Einwand, dass dieser seltsame Psychiater neun von zehn Klienten abwies, selbst wenn sie ihm das Doppelte seines üblichen Honorars boten, wollte sie einfach nicht zur Kenntnis nehmen.
    Der Diskussion darüber müde, entschloss sich Laurence schließ-
    lich, Fjodor Gregorowitsch die Angelegenheit vorzutragen. Wie zu erwarten, war er nicht nur abweisend, sondern nachgerade erschrocken bei der Vorstellung, ein Gespräch mit einem Medienstar zu führen. Er sehe nur äußerst selten fern, bekannte er, aber aus der Presse kenne er natürlich ›die bemerkenswerte Karriere‹ von Ma-264

    dame Le Gendre. Schließlich ließ er sich dazu herab, sich mit ihnen beiden gemeinsam zu treffen an einem öffentlichen Ort, »so ganz auf Zufall gemacht, Sie verstehen? Sie schlendern dort Arm in Arm mit ihrer Freundin, und wen treffen Sie da ganz zufällig? Wir tauschen ein paar Belanglosigkeiten aus, und ich prüfe dabei die Chemie ihrer depressiven Freundin. Danach treffe ich meine Entscheidung – und die ist unwiderruflich.«
    Der Vorschlag wurde in die Tat umgesetzt; die ›zufällige Begegnung‹ fand auf dem Champ-de-Mars statt, unmittelbar vor dem Haupteingang der Militärschule. Der Austausch belangloser Höflichkeiten verlief jedoch nur sehr kurz, dann entfleuchte der Russe eilends nach einem erschrockenen Blick auf den großen Fernseh-star. Vor seinem überstürzten Abgang fand er gerade noch die Zeit, Laurence die Hand zu küssen. Diese besuchte ihn am Abend nach dem Desaster in seinem Museum in Passy. Er empfing sie mit der Frage, ob sie Andersens Märchen von dem Mann kenne, dem sein Schatten abhanden kam. Nein? Das sei schade, denn sie hätte so besser verstehen können, dass ihre Freundin Catherine gewisser-maßen ihre Persönlichkeit verloren habe und ein ›eindimensionales Wesen‹ geworden sei, sozusagen eine Ansammlung von Elektronen, die erst unter dem Einfluss des Kathodenstrahls der Bildröhre lebendig würde. Nicht ihren Schatten hätte sie verloren, sondern ihr Relief: Er habe keine Realität mehr in ihren Augen erkennen können.
    »Diese Entfremdung – wie gut ich sie kenne!«, setzte er hinzu.
    »Meine Kollegen haben an mir mit Drogen experimentiert. Welch furchtbare, ungeheure Erfahrung, niemand mehr zu sein! Die arme Frau hat Schlaftabletten geschluckt, weil es sie nach Wahrheit verlangte, um sich gegen die schamlose Besitzergreifung zu wehren.
    Die vielen Millionen, die sie anbeten: ›bravo, bravissimo!‹ Und sie empfindet dabei: ›Ich bin ein Trugbild!‹«
    »Sie verstehen sie so gut«, versicherte Laurence. »Warum sind 265

    Sie weggelaufen? Sie könnten ihr bestimmt helfen – ihr auch.«
    »Wenn ich einem Kranken seine Krücken wegnehme, was geschieht dann? Kann er dann etwa laufen? Wunder zu wirken, ist nicht meine Sache. Und wenn ich mir diese Nervenkrise des großen Stars auflade, wird sie mit existenzieller Leere zu kämpfen haben.
    Ruhm, Ehrungen, Schmeicheleien – das sieht sie als vergänglichen Glanz, als lächerliche Illusion. Aber wenn ich ihr jetzt ihre ganze Last auflade, wird sie darunter zusammenbrechen.«
    Laurence drang nicht weiter in ihn. Sie wusste zu genau, wovon er sprach.
    Am nächsten Morgen erschien Catherine bleich wie die Wand und mit schweren Lidern zum Frühstück. Sie griff Laurence heftig an und machte sie verantwortlich für das, was ihr »mit diesem Scheiß-
    psychiater passiert« sei. Sie einfach so stehen zu lassen, als ob sie die Pest habe! Wofür hielt sich dieser Kerl eigentlich? Sie jedenfalls habe nicht den geringsten Anlass, sich von diesem Verrückten die Hand küssen zu lassen und wer weiß was sonst noch …
    Dann fragte sie mit der Miene einer Mater doloroso, was es denn mit ›diesem Koffer da‹ im Flur auf sich habe. Laurence antwortete ihr, sie sei den Tag über unterwegs und käme dann am späten Nachmittag wieder, um ihre Sachen abzuholen.
    Als Laurence gegen sechs Uhr abends zurückkehrte, fand sie Catherine im Wohnzimmer in Gesellschaft einer Dame in den Drei-
    ßigern, hoch gewachsen und ungezwungen wirkend. Beide sprangen sofort auf, als sie eintrat. »Sie haben von mir gesprochen … Ich komme höchst ungelegen«, dachte sie sogleich.
    »Lassen Sie sich nicht stören!«, sagte sie. »Ich schaue nur kurz vorbei, unten wartet ein Taxi auf mich. Ich wollte dir nur rasch sagen, dass ich die Schlüssel draußen im Flur auf den Tisch

Weitere Kostenlose Bücher