Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt
einen ordnungsgemäßen Auftrag erteilt hätte! Aber keine Spur davon! Sie mochte ihn zwar, aber nicht genug, um ihn zu ›beherrschen‹, leider! Außerdem hatte sie ihre Blicke schon anderweitig orientiert. Er machte ihr das auch nicht zum Vorwurf; ihre Entscheidung war wohl richtig gewesen …
Mit dröhnenden Ohren machte er sich, ohne unterwegs jemandem zu begegnen, auf den Weg zum Besucherbau. Nächtliche Spaziergänge gehörten nicht zum Lebensstil der Mirandisten während ihres Aufenthalts im Heiligtum … Er betrat lautlos das kleine Zimmer, das man ihm hier zugewiesen hatte. Als Erstes nahm er das Wasserglas vom Bord über dem Waschbecken und goss es drei Finger hoch mit Whisky voll. Er hatte keine übermäßige Schwäche für Alkohol und hatte ihn nur gekauft, um sich vor Jasmine etwas auf-zumanteln und ihr vor allem die gewünschte Gelegenheit zu geben, in seinen Sachen zu schnüffeln. Aber nachdem die Flasche nun einmal da war …
Er nahm seinen Rasierapparat von dem Ladesockel, auf den er 430
ihn gesteckt hatte. Dieser diente zwar durchaus der vorgesehenen Aufgabe, hatte aber noch andere nützliche und unerwartete Funktionen. So war er zum Beispiel gleichzeitig ein Bewegungsmelder und zeigte als solcher nun auf einem Display an, dass jemand um 23.17 Uhr das Zimmer betreten und um 23.21 wieder verlassen hatte.
Thierry war nicht weiter überrascht. Andererseits beunruhigte ihn die kurze Dauer dieses heimlichen Besuchs. Für eine auch nur halbwegs gründliche Durchsuchung reichte diese Zeit nicht aus. Was dann also? »Man muss etwas versteckt haben … Eine Wanze? Eine Miniaturkamera? Wie auch immer – im Augenblick ist mir das eigentlich egal.«
Er war jetzt einfach zu müde, um darüber noch länger nachzudenken. Außerdem begann der Whisky nun zu wirken. Er zog sich aus und löschte das Licht. Sollten sie doch was haben für ihr Geld, diese Eunuchen! Er streckte sich im Dunkeln auf seinem Bett aus.
Wie eine Woge senkte sich die Depression über ihn. Na, es fehlte gerade noch, dass er zu heulen beginne!
Ganz auf dem Grund seiner Verzweiflung begann etwas aufzu-leuchten. Eine Intuition, ein Funke, der behutsame Ansatz einer Hypothese. Dann kam die Erleuchtung, wie ein plötzliches Auf-flammen. Er richtete sich im Bett auf, das wie ein Boot zu schwanken begann. »Theoretisch ginge das! Wollen mal sehen … aber nein, doch nicht, das werde ich kaum schaffen. Jedenfalls nicht allein und nicht in dieser kurzen Zeit. Es sei denn … Thierry Bugeaud, du bist ein Genie!«
Er ließ sich in den Schlaf sinken. Morgen in aller Frühe würde er ans Werk gehen. Und selbst wenn es nicht klappen würde, versuchen musste er es. Die Idee war einfach großartig! Und schrecklich zugleich! Denn er, der sanfte Thierry, würde jemanden auslöschen!
Und zwar unter Mithilfe dieses infamen Delanoy. Er konnte das Lachen, das ihm in die Kehle stieg, nicht unterdrücken.
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Nein, wirklich: Das war ungeheuerlich! Ungeheuerlich und doch zugleich überaus komisch.
Und schon war er eingeschlafen.
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23. KAPITEL
ie machte Gabriella das bloß, immer im Voraus zu erraten, Wdass jemand kam? Sie täuschte sich niemals. Auch an diesem Nachmittag fuhr sie plötzlich wie witternd auf und war mit wenigen Sätzen in den Tiefen des Lagerhauses verschwunden. Sandrine spitzte nun ebenfalls die Ohren, konnte aber nichts Ungewöhnliches wahrnehmen. Doch plötzlich wurde der schwere Riegel vor dem Eingang weggeschoben, und die Tür öffnete sich mit einem knarzenden Geräusch – stets der gleiche Vorgang, und trotzdem immer wieder ein wenig anders. Diesmal gab es etwas Neues: Draußen im Hof stand ein schwarzer Kastenwagen!
Der Mulatte erschien in Begleitung eines Geweihten. Ob es wohl der Gleiche war, der ihm neulich Geld gegeben hatte? Es schien so.
Die drei Männer, die nach ihnen hereinkamen, hatten weder rasierte Schädel noch trugen sie eine Tunika. Aber ihr zur Schau getragener Gehorsam, der zugleich etwas Bedrohliches an sich hatte, ließ für Sandrine keine Zweifel: Auch sie mussten zur Sekte gehören.
Furcht erfasste sie, und sie suchte sich ebenfalls ein Versteck.
Was mochten sie wollen? Sie verhielten sich, als seien sie allein in der Halle. Hatte man ihnen denn nichts von ihrer und Gabriellas Anwesenheit hier gesagt? Ach Gott, was war sie naiv! Natürlich 433
waren sie auf dem Laufenden, keine Frage. Vielleicht waren sie ja sogar ausdrücklich ihretwegen gekommen … Und die Scheinwerfer, die sie da aus ihrem
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