Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt

Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt

Titel: Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fuenfte Offenbarung
Vom Netzwerk:
Guardapasso nach Malta war für Kiersten eine echte Prüfung gewesen. Das Warten und die Untätigkeit hatten sie krank vor Angst gemacht. Sie hatte sich der von Laurence besorgten Beruhigungsmittel bedienen müssen. Der Komfort und Luxus dieses ›Kreuzfahrtschiffes‹ wurden ihr erst jetzt auf der Rückreise bewusst – und dies vor allem, weil Sandrine und Gabriella sie immer wieder darauf aufmerksam machten.
    Das Wiedersehen war bewegend, aber in gewisser Weise auch schmerzhaft gewesen. Kiersten hatte ihre Tochter schon seit vielen Monaten nicht mehr gesehen. Sicher, sie hatte mit ihr telefoniert und sich dabei gesagt, sie sei nun nicht mehr das kleine Mädchen von früher. »Ich werde am Ende vielleicht noch Mühe haben, sie wiederzuerkennen«, hatte sie während der Hinreise gedacht, aber das war wohl eher ein armseliger Trick gewesen, um ihre Furcht zu bekämpfen, dass sie sie vielleicht wirklich niemals wiedersehen wür-de. Nichts davon jedoch hatte den Schock der Wiederbegegnung im großzügigen Salon des Schiffes gemildert. (Sich auf dem Deck des Schiffes zu zeigen, ehe die Küste von Gozo am Horizont verschwunden war, kam auf gar keinen Fall in Frage.) Kiersten schloss ihre Tochter in die Arme, keines Wortes fähig. Natürlich hatte sie sie auch umarmt, wenn sie einmal nach Ottawa gekommen war, ihr wohl dabei auch kurz übers Haar gestreichelt. Aber das war in nichts zu vergleichen mit dieser besitzergreifenden Umarmung jetzt: wild, atemlos, endlos. Und sie hätte wohl noch länger gedauert, hätte da nicht Gabriella nur zwei Schritte entfernt gestanden, mit traurigen Blicken…
    Kiersten schloss auch sie in die Arme. Dabei war ihr bewusst, dass ihre Umarmung vor lauter Rührung linkisch war – auch wenn Lydia 453

    sie mit einem weniger ironischen Lächeln als gewöhnlich betrachtete. Plötzlich gingen ihr die Nerven durch, und sie ließ sich auf das Sofa sinken, von unbeherrschbarem Schluchzen geschüttelt.
    Seit ihrer frühen Kindheit hatte sie eine derartige Krise nicht mehr durchlebt, und es mochte gut sein, dass sie sich bei dieser Gelegenheit von manchen alten Tränen befreite, die sich unbemerkt in einem Winkel ihres Herzens angestaut hatten.
    Sandrine hatte sich neben sie gesetzt und tätschelte ihr ein wenig unbeholfen die Schulter, verwirrt, ihre Mutter in einem solchen Zustand zu erleben. Verblüfft überdies: Sie hätte nie geglaubt, dass so etwas überhaupt möglich wäre. Ihre Intuition sagte ihr, dass vom heutigen Tag an zwischen ihnen beiden nichts mehr so sein würde wie bisher. »Sie ist meine Mutter, aber das bedeutet nicht, dass ich ihr nicht helfen könnte.« Diese Entdeckung entlockte ihr Freuden-tränen, die nichts zu tun hatten mit der Erleichterung darüber, dass sie in Sicherheit war hier auf diesem Schiff, das nun schon ablegte, ohne dass man auch nur eine Minute verlor. Und das bald auf hoher See sein würde.
    Sandrine wechselte einen Blick mit Gabriella, der ihr bestätigen sollte, dass sie tatsächlich frei, dass sie wirklich am Leben waren.
    Obendrein aber drückte er ihre Übereinstimmung darüber aus, dass sie beide schlicht furchtbar dreckig waren. Digoulasses, si!
    Die beiden Mädchen erkundeten ihre großzügig ausgestattete Kabine, hüpften auf den Betten herum, schauten in Schubladen und Schränke und naschten im Vorbeigehen von den Süßigkeiten in den herumstehenden Kristallschalen. Schließlich entdeckten sie, Wunder über Wunder, das Badezimmer mit den Regalen voller verschiedener Seifen (noch verpackt) und einer Fülle unterschiedlichst geformter Fläschchen: Shampoos, Lotions, Öle, Badezusätze und duftende Essenzen.
    454

    Gabriella blieb vor jedem der reichlich vorhandenen Spiegel stehen und betrachtet kritisch ihre neue Frisur. (Lydia hatte sie zu beruhigen versucht mit dem Versprechen, sie sofort nach der Ankunft in Rom zum besten Friseur der Stadt zu begleiten.) Dann schloss sie sich zu einer endlos scheinenden Dusche ein, nicht ohne vorher ihre Gefährtin gebeten zu haben, »die Tür im Auge zu behalten«.
    Warum war sie immer so zimperlich darauf bedacht, beim Waschen unbeobachtet zu sein, wie das auch in diesem Lagerhaus ihre Gewohnheit gewesen war, wenn sie anschließend ungeniert nackt durch die Gegend lief? Schon merkwürdig!
    »Hoffentlich lässt sie mir noch ein bisschen warmes Wasser übrig!«, dachte Sandrine.
    Nach dem Frühstück nahmen Kiersten und Lydia noch einen Kaffee an Deck. Der Himmel war bedeckt, das Meer stärker bewegt, und der Wind

Weitere Kostenlose Bücher