Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt
Dankbarkeit an. Dann kniff er die Augen zusammen:
»Dieses segensreiche Koma hat mich glücklicherweise nicht blind gemacht. Mir fällt an Ihnen eine große Veränderung auf, und ich weiß gar nicht, wo ich beginnen soll.«
Sie erzählte ihm lächelnd, was sich kurz zuvor in Kierstens Hotelzimmer abgespielt hatte.
»Ich weiß beim besten Willen nicht, was mich da plötzlich gepackt hat. Aber wenn ich es noch einmal tun könnte, würde ich es wieder machen. Wer weiß, vielleicht erliege ich noch dem Fetischis-mus!«
»Ach was, lassen Sie solche freudschen Etikettierungen in den Schubladen der Psychoanalyse! Sie wollen damit Ihrer Freundin Kiersten eine Freude bereiten, nicht sich selbst. Sie haben ihre Kleider angezogen, um ihr Glück zu bringen, das ist doch so klar wie Quellwasser.«
Laurence schwieg verwirrt. Seiner Interpretation wollte sie zwar vom Verstand her nicht zustimmen, aber das, was ihr Instinkt ihr dazu sagte, ließ sie vor Schreck und Freude zittern.
Fjodor Gregorowitsch hatte die Augen niedergeschlagen und fragte sie, nervös mit der geflochtenen Kordel um seinen Schlafrock spielend, nach den weiteren Ereignissen während seiner langen Bewusstlosigkeit. Sie erzählte ihm in groben Zügen von Jean-Louis und Kiersten, ging aber nicht auf Einzelheiten ein, weil sie vermutete, dass sich hinter seiner Frage eine ganz andere verbarg.
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So war es denn auch; bei der ersten Pause beugte sich Fjodor zu ihr und vertraute ihr mit tonloser Stimme an, dass die schlimmste Frustration der letzten Jahre für ihn darin bestanden habe, von der besseren Hälfte der Menschheit betont Abstand zu halten. Zwei-oder dreimal habe er einen Anlauf bei Prostituierten genommen in der Annahme, sie würden ›ihre Dienste‹ ohne Gefühle verrichten und dabei an ganz andere Dinge denken.
»Ein schreckliches, erniedrigendes Fiasko! Wie kann man sich der körperlichen Vereinigung hingeben, wenn einem dabei der Abscheu vor dieser miesen Welt und unendlicher Überdruss in die Seele dringt? Darf ich Ihnen als Frau eine Frage stellen – oder eigentlich zwei?«
»Ich will mich nach besten Kräften bemühen, sie zu beantworten …«
Er hob den Kopf und schaute die junge Frau unsicher an:
»Glauben Sie, dass der alte Syssojew noch gefallen kann? Natürlich nach entsprechenden kosmetischen Bemühungen und – unter der Voraussetzung besserer Manieren!«
»Aber ja, ganz sicher! Und alt sind Sie doch auch nicht! Die Damen dort vorhin haben doch sichtlich Ihre Gesellschaft genossen, oder etwa nicht? Davon abgesehen, könnte es Ihnen nicht schaden, zum Friseur zu gehen und sich eine etwas schickere Brille zuzule-gen …«
»Sofort morgen früh, danke! Und was nun meine zweite Frage betrifft, muss ich leider auf dieses verunglückte Treffen am Champ-de-Mars mit Ihrer verehrten Freundin vom Fernsehen zurückkommen … Sie erinnern sich?«
»Mit Catherine Le Gendre, aber natürlich. Das war nun allerdings alles andere als ein Erfolg. Wieso kommen Sie jetzt auf sie?«
Fjodor lief rot an und stammelte dann, er habe die positive An-ziehungskraft dieser charmanten Person sofort verspürt und könne es sich nicht verzeihen, al es dadurch zerstört zu haben, dass er wie 471
ein Kosak davongestürmt sei. Laurence wandte mit einer gewissen Bestürzung ein, dass ihrer Meinung nach das Interesse der Dame doch allein seinen beruflichen Fähigkeiten gegolten habe. Gegen diese Auffassung verwahrte er sich energisch: Sein ›psychischer Schwamm‹ habe sich in dieser Situation als äußerst zuverlässig erwiesen, versicherte er nachdrücklich, und was er da hätte fühlen können … Nun, weiteres wolle er aus männlichem Zartgefühl und Bescheidenheit jetzt nicht äußern. Er erhob sich ohne weitere Er-klärung und ging zu dem Verkaufsstand hinüber. War ihm plötzlich der versprochene Cappuccino eingefallen? Aber nein; kurz darauf kehrte er zurück mit einer Schachtel Pralinen, die er vor Laurence hinlegte.
»Für Catherine?«, fragte sie, um ihn zu necken, denn sie war überzeugt davon, dass diese Aufmerksamkeit für sie bestimmt war.
»Aber nein!«, entgegnete er ernsthaft; ihre Ironie war ihm offenbar entgangen. »Für sie stelle ich mir rote Rosen vor, ehe ich den Vorhang lüfte, und ein ausgewähltes Gedicht! Diese Pralinen sind für Ihren Freund Becker bestimmt. Nun ja, Ihr Freund dürfte er ja wohl kaum mehr sein, nach diesem hässlichen Verrat.«
»Meinen Sie nun Antoine oder Jean-Louis? Ich will ja nicht das Opferlamm spielen,
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