Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt
auch für die anderen im Raum unübersehbar war. Catherines Kinn begann zu zittern, und Vera Brodsky versenkte die Nase in ihr Cremetörtchen und mummelte, dass sie sich entschuldige, und sie habe ja nicht wissen können, und sie sei eben immer so unverblümt, verdammte Scheiße …
Später bat Antoine Laurence in den kleinen Salon, dessen gedämpftes Licht ein vertrauliches Gespräch begünstigte.
»Ich habe gezögert, Sie nach Ihrer Unterhaltung mit diesem Fjo-doro Gregorowitsch zu fragen«, begann er ohne Umschweife. »Das 130
geschah aus Rücksichtnahme, nicht etwa wegen meines mangelnden Interesses.«
»Ich gehe morgen wieder zu ihm.«
»Bravo! Darf ich wenigstens fragen, ob er Ihnen gut tut?«
»Gut tun? Nicht unbedingt. Das heißt… Kann man brutales Auf-wecken als ›gut tun‹ bezeichnen? Das kommt ganz darauf an, welche Realität einen erwartet!«
»Ich verstehe.«
Sie hätte ihm gerne geantwortet, dass er besonderes Glück habe, wenn er verstehe; ihr wolle das nämlich nicht gelingen. Aber sie ließ das bleiben, da sie erraten konnte, dass er mit ihr wohl über etwas anderes zu reden wünschte als ihren Gesundheitszustand.
»Ich habe Ihnen durch Monique eine Pressemappe zukommen lassen über dieses neue Videospiel«, sagte er schließlich. »Sie wissen, wovon ich spreche? Eine Schändlichkeit!«
»Ja, ich habe einen Blick darauf geworfen.«
Ein amerikanisches Unternehmen namens VG Brothers hatte eine Neuerscheinung unter dem Titel Tormentrix auf den Markt gebracht. Das Ziel dieses ›Spiels‹ war es, einem Gefangenen Geständnisse zu entreißen, der in einem Raum ausgestreckt lag, der mit jeder Art von Folterinstrumenten ausgestattet war, von mittelalterli-chen bis zu hochmodernen. Der Spieler konnte verschiedene Schwierigkeitsgrade einstellen, indem er dem Gefangenen eine bestimmte ›Schmerzgrenze‹ zuwies. Die Auswahl der Folterinstrumente und die Abfolge ihrer Anwendung musste gezielt getroffen werden, um zu vermeiden, dass der Gefolterte starb, ehe er gestanden hatte. Ein gewiefter Spieler würde die Befragung nicht beenden, ohne die gewünschten Aussagen erhalten und sie auf mögliche Widersprüche abgeklopft zu haben. Am Ende des Spiels hatte er dann die Wahl, den Gefangenen am Leben zu lassen oder ihm den Gnadenstoß zu versetzen.
Dieses Computerspiel hatte einen Skandal ausgelöst. Medien, Per-131
sönlichkeiten des öffentlichen Lebens und humanitäre Organisationen waren sich in seiner Verurteilung einig. Laurence für ihren Teil hatte die Presseberichte dazu mit großem Unbehagen gelesen. Aber sie sah sich außer Stande, sich dem Chor der Protestierenden anzuschließen. Die ganze Sache ließ sie auf eine unerklärliche Weise unberührt.
Antoine schaute sie an und war überrascht von ihrem Schweigen.
Schließlich gab er es auf, auf eine Stellungnahme zu warten, die nicht kam.
»Ein Journalist von der Liberation ist zu mir ins Büro gekommen unter dem Vorwand, etwas über die Haltung von HMI zur Absicht von Minister Vallerand zu erfahren, den Verkauf dieser Scheußlichkeit in Frankreich zu verbieten. In Wahrheit war er gekommen, um eine Rakete unter meiner Nase anzuzünden und meine Reaktion darauf zu beobachten!«
»Eine Rakete?«
»Einen riesigen Kracher, fabriziert von einem Verrückten!«
Es ging dabei um das Gerücht, die Leute von VG Brothers hätten sich der Mithilfe eines Mitarbeiters von Harmonices Mundi für die Entwicklung der Grundkonzeption von Tormentrix bedient. Es war die Rede von ansehnlicher Bezahlung, zweideutigen handschriftlichen Notizen, Überweisungen an eine Schweizer Bank. Wie das bei den meisten Gerüchten so ist, war die Quelle dafür nicht auszumachen – und gerade seine Ungeheuerlichkeit hatte seine Verbreitung nicht etwa verhindert, sondern sie eher noch gefördert.
Laurence löste sich aus der Erstarrung, in die sie sich seit Beginn des Abendessens geflüchtet hatte. Plötzlich verfolgte sie aufmerksam Antoines Ausführungen und zeigte Verständnis für seine Besorgnis, dass der gute Ruf von HMI gefährdet sei durch derartige wilde Spekulationen, die weiterverbreitet würden durch Zwischen-träger, deren man nicht habhaft werden konnte. Sie erriet auch, dass sein Zorn dazu diente, die Frage hinauszuzögern, die er ihr 132
stellen wollte. Sie dachte bereits an Jean-Louis, ehe noch dessen Name gefallen war.
»Jean-Louis? Aber daran können Sie doch nicht im Ernst denken!«
»Sie kennen doch meinen Sohn: Er ist ein Idealist, und es könnte
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