Billy Elliot - I will dance
mal.
Ich nehme an, George weiß, was er tut. Ich bin nicht mehr hingegangen, nachdem was beim letzten Mal passiert ist. Ich hab genug um die Ohren, auch ohne unseren Billy zurechtstutzen zu müssen. Da ist ja auch noch Tony. Der macht mir mehr Angst als Billy. Tony wird immer wilder. Ich fürchte, der Junge lässt sich zu was wirklich Blödem hinreißen.
Der Streik läuft jetzt schon vier Monate und es ist kein Ende abzusehen. Meine Ersparnisse sind alle aufgebraucht. Noch nie war ich so arm. Das macht uns alle fertig, aber am schlimmsten ist es für die jungen Leute. Ich sehe meine Kumpels beim Streikposten und unten im Klub und… tja, niemand sagt was. Sagen kann man nichts, man darf ja niemandem in den Rücken fallen. Aber ich vermute, ich bin nicht der Einzige, der so denkt. Diesmal haben sie uns geschafft. Es hat sich was verändert.
Und es wird auch nicht so schnell vorbei sein. Nicht diese Woche, nicht die nächste, nicht nächsten Monat. Vielleicht noch nicht einmal dieses Jahr. Aber früher oder später doch irgendwann. Es geht nur noch darum, wie viel wir bis dahin ertragen müssen und wie schnell sie dann am Ende die Bude dichtmachen. Ich will Tony nicht vorwerfen, dass er wütend ist, aber das ist kein Grund, Dummheiten zu machen. Ich sehe ihm am Gesicht an, wie gerne er jemandem einen Denkzettel verpassen würde. Ich kenne das Gefühl. Der Unterschied ist nur der, ich würde nichts tun. Er vielleicht. Seien wir doch mal ehrlich – was hat er schon zu verlieren? Seine Arbeit? Scheiße.
Neulich waren wir einkaufen, er und ich. Ich fragte ihn, ob ihm in letzter Zeit was an Billy aufgefallen war. »Was aufgefallen? Was willst du, eine Liste?«, fragte er. »Ich mach mir Sorgen um ihn.«
»Der hat sie nicht mehr alle. Wenn der noch mal an meinen Platten rumspielt, dann bretter ich ihm eine, und fertig. Die kriegen alle Kratzer.«
»Er ist dein kleiner Bruder.«
»Ist mir doch egal. Woher soll ich neue Platten kriegen, wenn er mir meine kaputtmacht? So dicke habe ich’s ja nun auch nicht, oder?«
»Tut mir Leid, dass ich dich gefragt habe.« Er kochte vor Zorn. In letzter Zeit bringt ihn jede Kleinigkeit hoch. Gerecht ist das nicht. Was kann denn Billy dafür, dass wir streiken. »Ich habe selber genug um die Ohren, da kann ich nicht auch noch für Billy die Mam spielen.«
»Er braucht eine Mutter«, fauchte ich. »Ah ja? Wer braucht die nicht?«, fauchte er zurück. »Er ist ein Kind. Du bist ein erwachsener Mann«, sagte ich. Aber kaum hatte ich das gesagt, tat es mir schon Leid. Tony erwähnt seine Mam mir gegenüber nie, und ich rede auch nicht mit ihm über sie, aber bestimmt fehlt sie ihm genauso wie uns allen. Es war unfair, Sarah ins Spiel zu bringen, als wäre sie nur Billys Mutter und nicht auch seine.
»Tut mir Leid«, sagte ich zu ihm. Aber Tony beschäftigte schon was anderes: Ein randvoller Einkaufswagen, der gerade um ein Regal gebogen war. Mit Gary Stewart dahinter.
»Na, guck dir das an«, sagte Tony. »Halt dich zurück«, murmelte ich. Es ist nur ein Frage der Zeit, bis er zuschlägt, und was dann? Knast, sofort Knast. Wenn die unsereinen in die Finger kriegen, spielt Gerechtigkeit keine Rolle. Die machen jeden Bergmann fertig, den sie schnappen, und die Firma stellt keinen ein, der eine Vorstrafe hat. Einmal zuschlagen, und das war’s. Steve Willis hat drei Monate gekriegt, weil er jemanden in den Arsch getreten hat. Ah ja, mach dir bloß nichts vor. Das Recht ist eine Waffe, aber nicht für uns. Wann hatten die Arbeiter schon mal das Recht auf ihrer Seite? Anwälte, Richter, Polizeichefs. Die kommen nicht gerade aus Arbeiterfamilien, oder? »Geht’s dir gut, du Streikbrecher?«, rief Tony. Schon am Einkaufswagen konnte man sehen, dass Gary ein Streikbrecher war. Kein Streikender kann sich nach sechs Monaten Streik so einen Einkauf leisten. Gary hat’s schwer gehabt, er hatte eine Menge Verpflichtungen, aber wer hat die nicht? Solche Geschichten sind das Schlimmste an der ganzen Sache. Gary und Tony sind zusammen in die Schule gegangen. Früher waren sie Kumpels. Jetzt sind sie das nicht mehr. Tony ging auf Gary zu. »Streikbrecher essen gut!«, rief ich laut.
»Hast ordentlich eingekauft, was? Was soll das, he?« Tony stieß mit seinem Korb gegen Garys Wagen. Ich wollte ihn bremsen, biss mir aber auf die Lippe. Tony ist alt genug.
»Du warst mein bester Kumpel. Die erste Regel der Gewerkschaft, Gary: Keiner bricht den Streik. Wenn das vergessen wird, sind wir alle im
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