Billy Elliot - I will dance
Zunge über die Lippen. Er ging am Tisch vorbei zum Zimmer seiner Nan. Er schob die Schiebetür auf, warf uns kurz einen Blick zu, so eine Art Entschuldigung. Ich mache ihm keinen Vorwurf, aber ich hätte ihn umbringen können. Er ging rein und schloss die Tür hinter sich.
Und dann nichts. Nichts. Einfach nur nichts. Wir hörten, wie der Umschlag geöffnet wurde. Wir hörten, wie der Brief rausgezogen wurde. Es war lange still, während Billy las. Er wusste, ob er angenommen worden war. Wir nicht.
Nichts. Immer noch nichts.
»Verdammte Scheiße«, murmelte Tony. Er sprang auf und ging zur Tür und ich schaffte es gerade so, mich vor ihn zu schieben. Billy saß auf dem Stuhl neben dem Bett. Er guckte hoch. Er weinte. Ich dachte, ach, Billy.
»Und?«
»Ich bin drin«, sagte er mit dünner Stimme.
»JAAAAAAAAAAAAAAAAAAAA!« Man hätte Tonys und meinen Schrei bis auf die Straße raus hören können. Ich riss Billy den Brief aus der Hand und las ihn. »JAAAAAAAAAAAAAAAAA!« Wir hüpften und brüllten! Verdammte Scheiße. Er ist drin! Verdammt noch mal, er ist angenommen!
»Er ist…! Er ist…!«, rief ich immer wieder. »Was denn?«, brüllte Tony. »Verdammt brillant!«
Die Nachbarn kamen angesaust. Nan rannte rum und gab jedem einen Kuss. Tony stellte Billy auf den Tisch und sagte, er sollte tanzen, und diesmal tat er es auch. Ich gab ihm einen dicken fetten Schmatzer und rannte dann raus auf die Straße. Ich musste es den Jungs erzählen. Er hatte es geschafft! Himmel! Ich konnte es nicht glauben. Ich hatte den Brief in der Hand. »Wir freuen uns, dir mitteilen zu können…« Ich rannte so schnell wie noch nie die Straße lang, den Hügel rauf zum Klub. Die ganze Zeit dachte ich, unser Billy ist besser als diese vornehmen Bürschchen, er hat’s geschafft! Ich knallte die Tür von der Kneipe auf. »Er hat’s geschafft! Er hat’s geschafft, verdammt noch mal!« Stille.
»Hast du’s noch nicht gehört, Jackie, Mann? Wir fangen wieder an.«
»Was?«
»Vorbei. Die Gewerkschaft ist eingeknickt.«
»Wir haben verloren. Montag geht’s wieder an die Arbeit.«
Das war’s also. Deshalb gab’s keine große Feier. Das Ende des Streiks überschattete alles. Wir hatten verloren. Ich weiß noch, dass ich dachte, na, jetzt kann ich wenigstens die Ballettschule bezahlen.
Das ist jetzt schon lange her. Wir hatten verloren, die Thatcher hatte gewonnen. Ich nehme an, das hat ihr bei der nächsten Wahl ein paar mehr Stimmen eingebracht, und auch bei der danach. Und als die von der Labour Partei rankamen, waren die auch zu Thatcheristen geworden, also hat es seitdem nie richtig aufgehört, oder? Die Zechen sind alle geschlossen worden, eine nach der anderen, so wie die Gewerkschaft es vorausgesagt hatte. In Everington hatten wir Glück, unsere Zeche lief länger als die meisten, aber auch die ist jetzt zu. Der Ort ist eine Geisterstadt.
Damals ging es sofort wieder runter. Rein in den Förderkorb und runter in die Grube, wo die Kohle auf uns wartete, wie immer. Sie ist nach wie vor dort unten, und da wird sie auch bleiben. Die Grube ist zu tief und die Flöze sind zu dünn. Die Schächte wurden sowieso alle geflutet. So viel zum Bergbau in diesem Land. Damals habe ich gedacht, jetzt haben wir unsere Zukunft verloren, oder? Ja ich weiß, die Stadt wird weiter existieren, aber sie wird nicht mehr dieselbe sein, ohne die Zeche nicht. Für mich war sie lange genug da – ich war froh, dass ich aufhören konnte zu arbeiten, als es so weit war – aber Tony ist jetzt seit drei Jahren arbeitslos. Diese Zukunft haben wir verloren – aber wir haben eine andere gewonnen – eine für unseren Billy. Und das ist doch auch etwas, oder?
Billy
»Eins und zwei und drei und vier und hoch. Und halten.« Es war immer noch dasselbe.
»Langer Hals. Jona, das ist kein langer Hals, oder?« Vor den Fenstern Zigarettenqualm. Mr Braithwaite klimperte auf dem Klavier. Es war, als hätte die Miss das alles schon seit dreitausend Jahren getan. Dann bemerkte sie, dass eines der Mädchen mich anguckte, drehte den Kopf und sah mich.
»Okay, Mädels, übt eure Pliés.«
Sie kam angeschlendert, als wäre ich zufällig vorbeigekommen. »Billy.«
»Ich fahre heute los, Miss.«
»Ich weiß, Debbie hat es mir erzählt.« Sie zog an ihrer Zigarette und schaute gedankenverloren zu den Mädchen an der Stange. »Ich werde Sie vermissen, Miss.«
»Nein, das wirst du nicht.«
»Doch, Miss, ehrlich.«
Sie seufzte. »Billy,
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