Bin ich hier der Depp
habe keine Erklärung. Ich habe eine dreistellige Zahl von Bewerbungen geschrieben.« Diese Antwort war wohl nicht überzeugend: Wieder einmal bekam er eine Absage. Vielleicht hatte man ihn auch nur zum Vorstellungsgespräch eingeladen, weil er neuerdings aufgrund des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes sein Alter und sein Passbild in der Bewerbung weglassen konnte – als wären es Schandflecken gewesen, die es zu verbergen galt!
Wahrscheinlich hatte niemand seinen Lebenslauf gründlich genug gelesen, um aus dem Abiturjahrgang 1971 die richtigen Rückschlüsse auf sein Alter zu ziehen. Die anderen Firmen beherrschten diese Kunst besser, denn die Auslassung hatte seine Bewerbungserfolge nicht gesteigert.
In der Beratung erzählte er mir: »Bei meiner letzten Arbeitssuche, mit Ende 30, habe ich auf 30 Bewerbungen noch acht Einladungen zum Vorstellungsgespräch bekommen. Ich hätte zwischen drei Jobs wählen können.«
»Wie erklären Sie es sich, dass Ihre Erfolgsquote so gesunken ist?«
»An meiner Qualifikation kann es nicht liegen! Die hat sich in meinen letzten 15 Berufsjahren noch mal verbessert: Ich habe schwierige Projekte koordiniert, ein Team geleitet und zu Fachthemen sogar Kurse gegeben.«
Der Ingenieur scheiterte nur an seinem Alter. Das AGG ist gut gemeint, aber auf die Praktiken der Arbeitgeber wirkt es sich so wenig aus wie der Erlass eines italienischen Dorfbürgermeisters auf die Methoden der Mafia. Wer über 50 ist, den fassen die meisten Firmen nicht mal mit der Kneifzange an, schon gar nicht, wenn er sich aus einer Arbeitslosigkeit bewirbt.
Immer wieder berate ich Bewerber von über 50, die in ihrem Berufsleben alles richtig gemacht haben, bis auf die Tatsache, dass sie älter geworden sind. Das ist unverzeihlich! Schon die Stellenausschreibungen können entmutigen. Da suchen »junge Teams« nach Verstärkung, da sind »unverbrauchte Köpfe« gefragt, da werden »hohes Engagement und große Flexibilität« verlangt.
Die Botschaft zwischen den Zeilen lautet: »Alte müssen draußen bleiben!«
Dabei ist es Arbeitgebern durch das AGG untersagt, Bewerber wegen ihres Alters zu benachteiligen. Und Stellenausschreibungen müssen frei von Diskrimierung sein.
Selten kommt es vor, dass ein Bewerber klagt – so ein 36-jähriger Volljurist, der sich benachteiligt sah, weil eine Berliner Klinik ausdrücklich nach »Hochschulabsolventen / Young Professionals« gesucht hatte. »Young« konnte doch nur heißen: so jung wie möglich. Zwei Berliner Arbeitsgerichte stärkten der Klinik den Rücken, doch das Bundesarbeitsgericht empfand diese Formulierung als »nicht diskriminierungsfrei« und verwies den Fall zurück. [116]
Die Arbeitgeber der Republik rufen eine Unter-50-Party aus. Wer (Erfolge) feiern will, muss jung sein. Die Älteren können ihren Arbeitsplatz ganz leicht verlieren – aber nur ganz schwer einen neuen bekommen. Erst machen die Firmen einen zum Arbeitslosen, weil er alt ist. Und dann bleibt er arbeitslos, weil er jetzt nicht nur alt ist (Sünde eins), sondern auch noch arbeitslos (Sünde zwei).
Dieser Jugendwahn spitzt sich zu: Immer mehr Berufstätige gehen vorzeitig in Rente. Von 700 000 Menschen, die 2011 in Altersrente gingen, hatten 337 000 nicht bis zum 65. Lebensjahr gearbeitet. Fast die Hälfte der Neu-Rentner muss Abschläge hinnehmen. Und von den 60- bis 64-Jährigen sind nur 29,3 Prozent beschäftigt, von den 64-Jährigen gar nur 14,2 Prozent. [117]
Die Besen der Firmen haben gründlich gekehrt, auch weil der Druck an den Arbeitsplätzen die psychischen Krankheiten zum Grund für jede dritte Frühverrentung gemacht hat. Die Arbeitswelt ist nahezu Alten-bereinigt. Und ein Zitat des englischen Erzählers William Somerset Maugham kann nicht mehr ohne Ergänzung stehen: »Wenn man genug Erfahrungen gesammelt hat, ist man zu alt, sie auszunutzen« – nein: Sie nutzen zu dürfen!
Wie kann das sein? Wenn die Politik fordert, Menschen sollen bis zum 67. Lebensjahr arbeiten, dann muss sie auch dafür sorgen, dass sie es dürfen. Zu einem Arbeitsverhältnis gehören immer zwei, auch eine Firma. Warum ist noch niemand auf die Idee gekommen, eine Älteren-Quote einzuführen?
Jede größere Firma sollte gezwungen sein, einen angemessen Anteil von Mitarbeitern über 50 und über 60 zu beschäftigen. Dann machen Unternehmen, die Ältere aussortieren, kein Geschäft mehr. Wer die Quote nicht erfüllt, muss eine Umlage zahlen, zugunsten jener Firmen, die Älteren gesundheitsfreundliche
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