Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)

Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)

Titel: Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Möller
Vom Netzwerk:
Bögen des populärsten Wahrzeichens meiner Heimatstadt in die ehemalige Sowjetische Besatzungszone jogge, halte ich mir noch einmal die Bedeutung vor Augen, die diese wenigen Meter noch hatten, als ich das Licht der Welt erblickte; wie tief der Hass zwischen den Anhängern der beiden Systeme war und welche politischen Abgründe sich hier über Jahrzehnte auftaten – über die ich nun locker hinweglaufe.
    Auf dem Pariser Platz entdecke ich schon von Weitem ein Mitglied derjenigen Gruppe, die am anfälligsten für kauziges Verhalten ist: einen männlichen Pensionär. Neben zwei gelangweilt dreinblickenden Frauen, vermutlich Ehefrau und Tochter, führt der ältere Herr einen Monolog und weist dabei mit bedeutungsschwangerer Gestik und Mimik auf das Brandenburger Tor. Unter der Anglerweste schaut sein standesgemäßer Bauch hervor, auf dem seine Videokamera ruht. Mit der filmt er vermutlich den halben Berlin-Trip und zwingt seine Verwandten daheim, sich alles anzuschauen – die zeitgemäße Version des gefürchteten Dia-Abends. Am besten gefallen mir jedoch seine Schuhe, deren Sohlen wie ein Wiegemesser abgerundet sind, sodass er beim Sprechen mit dem Becken vor und zurück schaukelt. »… und im späten achtzehnten Jahrhundert«, erklärt er gewichtig, »hat König Friedrich Wilhelm II . …«
    Mehr kann ich glücklicherweise nicht hören, und während ich nun links in die Wilhelmstraße abbiege, nehme ich mir fest vor, später einmal keine solche Sabbelstrippe zu werden. Wirklich ganz, ganz fest.
    Dann erreiche ich schon bald das nächste Highlight meiner gejoggten Sightseeingtour: das Reichstagsufer, das mich am Paul-Löbe-Haus vorbei entlang des Spreebogens bis zu dem Bereich führt, von dem ich freien Blick auf den Berliner Hauptbahnhof habe. Auf dem Weg neben der großen Wiese des Spreebogenparks kommt mir eine Radfahrerin entgegen, die auf dem Lenker einen grauen Papagei spazieren fährt. »Nächste rechts!«, kräht der Vogel, woraufhin die Fahrerin tatsächlich rechts abbiegt.
    Kann das wahr sein: ein Navi-gei? Noch während ich mich wundere, lenkt mich der Anblick einer vierköpfigen Familie ab, die mit riesigen Schritten an mir vorbeihüpft. Dazu verhelfen neongelbe Stelzen, die an den Beinen befestigt und mit einer elastischen Stahlfeder ausgestattet sind.
    Nachdem ich an der Rückseite des Bundeskanzleramts vorbeigelaufen bin, erreiche ich den Platz, an dem das Haus der Kulturen der Welt steht. Dort erklärt ein Reiseleiter gerade einer Gruppe, warum dieses Gebäude im Berliner Volksmund auch »Schwangere Auster« genannt wird. »Dazu müssen Sie verstehen«, sagt er und spaziert währenddessen auf einen der Spreedampfer zu, »dass Berliner eine sehr ausgeprägte Spitznamenkultur pflegen.«
    Das stimmt. In meinem Freundeskreis gab es lange Jahre nur eine einzige Person, die keinen Spitznamen trug. Der dämlichste, der mir bei allen anderen untergekommen ist, verwies auf die angeblich sehr gute Orientierungsfähigkeit seines Trägers, der sich mir als Kompass vorstellte. Als er sich auf dem Weg zu einer Party dann mit einem hübschen Mädchen unterhielt, übersah er den hüfthohen Pfeiler, auf den er in guter Schrittgeschwindigkeit zulief. Mit Schmackes rammte er sich den Metallpfosten dorthin, wo es bei einem Mann richtig wehtut. Es dauerte einige Minuten, bis er sich von dem Schmerz erholt hatte, dann nahm er freiwillig wieder seinen echten Namen an.
    Bei Kilometer sieben erreiche ich das Schloss Bellevue, dessen Name von Berlinern gern so stilecht wie möglich ausgesprochen, manchmal sogar geschrieben wird: Belle-Wüh. Mit französischen Fremdwörtern haben wir’s nämlich nicht so, weshalb hier auch gern von Parföng, Ongarschmong und Becher-Mehl-Soße gesprochen wird. Unter den prüfenden Augen der Sicherheitskameras laufe ich am Ufer der Spree entlang, bis mich ein kleiner Weg wieder links in den Tiergarten führt. Dort erinnert mich der nächste Fahrradfahrer an ein Phänomen, das wegen des eigens deshalb eingeführten Bußgeldes immer seltener geworden ist: die urbane Freikörperkultur. Im Adamskostüm kommt mir der Mann auf einem orangefarbenen Klapprad entgegen und nickt mir freundlich zu.
    Einen Kilometer später überquere ich die Altonaer Straße und lande anschließend in dem Abschnitt des Tiergartens, der als Treffpunkt für spontanen Sex zwischen fremden Männern bekannt ist. Auf nahezu jeder Parkbank sitzen (angezogene) Herren mit kleinen Hunden an der Leine und starren mich mit großen

Weitere Kostenlose Bücher