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Binärcode

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Titel: Binärcode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Gude
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im Morgengrauen schnarchend vor dieser skurrilen Videoinstallation fand.
    Nach einer halben Stunde Kassenkino wurde er wieder müde, ein effizienteres Schlafmittel als grobkörnige Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Menschen, die an Großmarktkassen anstanden, war kaum vorstellbar. Im Halbschlaf wären sie ihm fast durch die Lappen gegangen, er erkannte sie nicht sofort, weil sie sich nicht zu dritt anstellten. Um 10.22 Uhr drückten sich zwei der Männer an Kasse sieben an der Schlange vorbei, sie führten keine Artikel mit. An der kleinen Verpackungsrampe hinter der Kasse blieben sie stehen, als warteten sie auf einen Begleiter. Der dritte Mann hatte sich nach zwei Minuten in der Warteschlange bis ins Blickfeld der Kamera vorgearbeitet. An der Kasse packte er ein paar Dosen auf das Förderband, in seinem Einkaufswagen ließ er zwei oder drei helle Säcke liegen, Details waren nicht zu erkennen. Die Kassiererin schob die Dosen über den Laserscanner, dann stand sie auf, beugte sich vornüber und las mit ihrem Handscanner die Strichcodes der Säcke in dem Einkaufswagen ein. Die zwei Freunde nahmen die Waren am anderen Ende in Empfang, während der Dritte bar zahlte. Der ganze Vorgang dauerte dreieinhalb Minuten, dann verschwand die Dreiergruppe Richtung Ausgang. Rünz studierte die Sequenz mehrmals. Sie hätten Brüder sein können, alle trugen dunkle Lederjacken, Jeans, Sneakers, ihr einziges auffälliges Unterscheidungsmerkmal war die Halbglatze des Mannes, der bezahlt hatte.
    Mit der Kassennummer und der Uhrzeit würde die Buchhaltung des Baumarktes ohne größeren Aufwand rekonstruieren können, was dieses Trio dort gekauft hatte. Und mit etwas Glück waren auch draußen, auf dem Parkplatz vor dem Baumarkt, ein oder zwei Kameras installiert. Rünz schaltete den Fernseher aus, setzte sich an seinen Computer und mailte an Bunter und Wedel kurze Arbeitsanweisungen. Er genoss es, Aufgaben zu delegieren, es verschaffte ihm kurzzeitig das Selbstbewusstsein einer echten Führungspersönlichkeit.

     

     
    * * *

     

     
    Selbstverständlich konnte man Tapeziertische auch zum Tapezieren verwenden, aber ihr eigentlicher Zweck war ein anderer. Man stellte sie zwei- oder dreimal jährlich an öffentlichen Straßen und Plätzen auf und bot darauf Gegenstände zum Verkauf feil, die nie einen anderen Zweck gehabt hatten als den, auf Tapeziertischen zum Verkauf angeboten zu werden. Die meisten dieser Dinge erlebten bis zu ihrem Gnadentod in einer Müllverbrennungsanlage eine endlose Reise durch die Hände immer neuer Eigentümer, die sie über unzählige Verkaufstische, Kofferräume alter Kombis und klamme Zwischenlager in Garagen oder Kellern führte, eine endlose Transaktionskette ohne Wertschöpfung, rührige Betriebsamkeit ohne Ziel und Gewinn, eine selbstreferentielle Sinn- und Zeitvernichtungsmaschine, gelebte Ineffizienz – Flohmärkte waren Zen. Frauen liebten sie, und jeder zurechnungsfähige Mann hasste sie. Wenn man die Sinnlosigkeit eines Sommerflohmarktes noch übertreffen wollte, musste man ihn nur im Winter veranstalten.
    Rünz trippelte wie ein arthritischer alter Chow-Chow fröstelnd hinter seiner Frau durch den Bürgerpark. Er fühlte sich unwohl, zum ersten Mal seit der Schießerei war er wieder in der Nähe des Knell-Geländes. Während seine Gattin an einem Stand in alten Sachen stöberte, lenkte er sich ab, indem er jungen Frauen nachstarrte. Er war erleichtert, als ihnen hinter dem Nordbad sein Schwager entgegenkam – in Begleitung.
    »Ja, da schau her«, dröhnte Brecker, »mein Schwesterchen mit ihrem Beschäler! Janine, das ist Karl, du weißt schon, der, von dem ich dir dauernd erzähle, der mit dem Ess-Tick .«
    Brecker zwinkerte seiner neuen Freundin zu und tippte sich mit dem Zeigefinger auf die Stirn. Feine Nuancen der Aussprache waren Breckers Sache nicht, er hatte ihren Vornamen ausgesprochen wie ›Schannin‹, mit Betonung auf der ersten Silbe. Schannin trug einen schwarzen Lederblouson, eine äußerst strapazierte Dauerwelle mit blonden Strähnchen, allerlei kitschigen Strass an den Ohren, lange künstliche Fingernägel und dickes Make-up auf einem Teint, der nach einer Jahreskarte fürs Sonnenstudio aussah. Sie spuckte einen Kaugummi aus, hustete etwas Schleim ab und steckte sich eine Marlboro ins Gesicht. Sie passte perfekt zu Brecker. Rünz’ Frau schlenderte langsam weiter, sie versprach sich wohl keine anregenden Impulse von einer Konversation mit ihrem Bruder und seiner neuen

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