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Gespielin.
»Hallo Schannin, schön dich kennenzulernen«, sagte Rünz. »Wenn Klaus dir schon so viel von mir erzählt hat, dann weißt du ja sicher auch schon von meinen Hämorrhoiden und diesem eitrigen, nässenden Ausschlag im Genitalbereich. Hast du vielleicht eine Ahnung, was man da machen kann ?«
Schannin schwieg. Sie starrte Rünz an, saugte an ihrer Marlboro, bis die Glut knisterte, zog sich das Giftgas bis in die Lungenspitzen und blies es ihm ins Gesicht. Ihr Atem entfaltete auf einem kräftigen Tabakgrundton einen Akkord verschiedenster Aromen – Currywurst, Pommes, Himbeerkaugummi und Parodontose. Jedenfalls war sie nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen.
»Hab ich dir zu viel versprochen, Schannin ?« , dröhnte Brecker. »Mein Schwager lässt nichts anbrennen, wenn’s um Sprücheklopfen geht. Jetzt geh und schau dich etwas um, ich muss was besprechen mit dem Karl .«
Schannin ging und schaute sich etwas um. Rünz blickte ihr nach.
»Apportiert sie, wenn du einen Stock wirfst ?«
»Tjaa, so folgsam hättest du mein Schwesterchen auch gerne, oder ?«
»An welcher Aldikasse hast du die denn kennengelernt ?«
»Von wegen Aldikasse, Schannin ist selbstständig !«
»Nagelstudio oder Nachtschicht an der Kirschenallee?«
»Sie hat eine Katzenpension .«
»Und wer hat dich da abgegeben ?«
Brecker schaute sich verschwörerisch um.
»Schau mal, was ich hier gefunden habe, hat mir ein Penner drüben am Moorteich für 20 Mäuse vertickt. Der Typ muss neu in der Gegend sein, ist mir auf Streife noch nie über den Weg gelaufen. Das Ding ist nagelneu, keine Gebrauchsspuren !«
Er zog ein öliges langes Lappenpaket aus der Innentasche seiner Winterjacke und schlug die Stofffetzen auseinander. Ein Zielfernrohr. Rünz zog ein Taschentuch aus der Hosentasche und nahm die Optik in die Hand. Er spürte, wie sich sein Puls beschleunigte.
»Seit wann hast du Angst, dir die Finger dreckig zu machen ?« , fragte Brecker. Rünz antwortete nicht. Grauer Hammerschlaglack, 24 Millimeter Objektivdurchmesser, sechs Grad Sichtfeld, Reflexvisier, passiver Infrarotfilter, kyrillische Beschriftung an der Montierung. Er nahm Brecker die Lappen ab, wickelte das Visier sorgfältig ein und steckte es in seine Jacke.
»He, was hast du vor mit dem Schmuckstück ?«
»Wo ist der Typ, der dir das verkauft hat ?«
»Keine Ahnung, der hatte gar keinen Stand, hat total zerfleddert auf einem Hocker gesessen und nur das kleine Meisterwerk hier angeboten. Der steht sicher schon an irgendeiner Trinkhalle und lötet sich ein paar Beschleuniger rein für den Zwanziger. Jetzt gib mir das Ding zurück !«
»Hast du ihn gefragt, wo er das herhat ?«
»Bin ich hier im Dienst oder was ?«
Rünz antwortete nicht. Er lief los Richtung Moorteich und versuchte, Brecker am Ärmel mitzuziehen wie ein Ruderboot einen Öltanker.
»Verdammt, was ist los, wo willst du hin? Was ist mit Schannin und Karin ?«
»Vergiss die beiden, dieser Penner hat dir das PSO-1 verkauft, die Standardoptik der Dragunov, mit der Charli erschossen wurde. Das Teil gehört zur Tatwaffe, da geh’ ich jede Wette ein. Wir müssen den Typ finden !«
»Eine Dragunov?? Sind die Rotarmisten hinter dir her ?«
»Keine der alten Holzgurken – die SVD, neueste Generation. Komm schon !«
Beide drückten sich durch die Kolonnen der Flohmarktbesucher nach Osten. Auf Höhe des Teiches bremste Brecker seinen Schwager.
»Verdammt. Hier, hier hat er gesessen, keine zehn Minuten her .«
Sie fragten vergeblich die Leute an den Nachbarständen nach dem Obdachlosen, dann liefen sie ein paar Schritte nach Norden Richtung Eissporthalle, dann nach Süden über das Leichtathletik-Trainingszentrum. Keine Spur. Also nach Westen, am Berufsschulzentrum vorbei, die Alsfelder Straße entlang. Dann sah Brecker ihn. Er schlenderte entspannt von Nordosten diagonal über den Messplatz, einen zusammengerollten Schlafsack an einem Riemen über der Schulter, in der Hand eine Bierflasche. Ihre Wege hätten sich auf Höhe der Staatsanwaltschaft gekreuzt, aber der Penner hatte den sechsten Sinn, was die Präsenz von Ordnungshütern anging. Er ging langsamer, schien wie ein Tier die Witterung seiner Jäger aufzunehmen und rannte plötzlich mit überraschend hoher Geschwindigkeit nach Nordwesten Richtung Marburger Straße. Rünz joggte und fluchte, er hasste es, wenn ihm körperliche Leistung abgefordert wurde. Brecker zog ihm wie eine von der Leine gelassene Bulldogge davon.
Rünz holte die
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