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Binding, Tim

Binding, Tim

Titel: Binding, Tim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fischnapping
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Besonders die letzte Nummer gefiel ihr,
und sie hielt sich den Strauß an die Nase, schnupperte daran, als wären es
echte Rosen, obwohl wir beide wussten, dass sie aus Papier waren. Ich lernte
unter anderem, Sachen in der Hand zu verstecken, indem ich sie in die Hautfalte
zwischen Daumen und Zeigefinger presste. Wenn du dann den Handrücken zum Publikum
hältst, merkt kein Schwein was. Falls mir das jetzt gelänge, könnte ich so tun,
als würde ich den Buchstaben ins Portemonnaie stecken, und den richtigen
Buchstaben später reintun. Die andere Möglichkeit wäre, einen günstigen
Augenblick abzuwarten, die Buchstaben auszutauschen, ehe sie das Haus verließ,
während sie sich umzog oder die Haare wusch.
    »Wann wolltest du los?«, fragte ich.
    »Jetzt gleich. Ich dachte, ich geh vorher noch ins Fitnessstudio.
Es braucht regelmäßig Bewegung, dieses Bein. Ich geh ins Fitnessstudio, dusche,
zieh mich um, fahr dann weiter. Und du bist auch wirklich nicht böse?«
    Ich schüttelte den Kopf, schloss das Portemonnaie, legte
es auf den Tisch. Es würde nicht hinhauen.
    »Ich sag dir was, Schätzchen. Wie wär's, wenn du mich das
machen lässt, als Geschenk?«
    »Was machen?«
    »Den Anhänger.« Ich schwenkte wieder die Hand. »Ich geh
für dich zum Juwelier. Übernehm die Rechnung. Was meinst du?«
    Sie verzog das Gesicht. »Was verstehst du denn schon von
Anhängern, Dad? Du suchst die falsche Kette aus oder die falsche Fassung. Die
Idee ist nett, aber ich mach das lieber selbst. Ich will das Ding ja
schließlich tragen.«
    »Ich such bestimmt was Passendes aus, versprochen. Gold,
Silber, was du willst. Ich würde es wirklich gern machen. Sozusagen als Entschuldigung.«
    »Du hast dich doch schon entschuldigt. Das ist für mich
etwas sehr Persönliches, Dad. Er war mein Verlobter. Ich musste bei seinem
Leichnam hinten im Wohnmobil sitzen, den weiten Weg nach Bristol, mir anhören,
wie er hin und her gerutscht ist. Und dann musste ich mit ansehen, wie er in
Asche verwandelt wurde, die seine Mutter unbedingt behalten wollte. Dieser
Buchstabe ist alles, was mir von ihm geblieben ist.«
    »Und die Pantoffeln. Du hast die Pantoffeln bekommen.«
    »Die Pantoffeln kann ich nicht jeden Tag um den Hals
tragen. Aber den Buchstaben. Und das werde ich auch.«
    Ich gab nicht auf. Ich hatte keine andere Wahl.
    »Lass mich doch diese eine Sache machen«, flehte ich. »Ich
lass auch was Ausgefallenes machen, seinen Namen druntersetzen, als würde er
ihn auf dich draufschreiben. Würde dir das nicht gefallen? Würde ihm das nicht
gerecht?«
    »Ich weiß nicht, Dad. Nichts Ausgefallenes, nein. Ich
möchte was Schlichtes.«
    »Das meinte ich ja. Schlicht, aber mit Tiefgang. Er war
schließlich Mitglied bei Mensa. Ich weiß was, den Buchstaben auf einer Seite
und ein kleines Foto von ihm und seinem Bart auf der anderen, wie ein Amulett.
Wenn es dir nicht gefällt, kannst du es wieder ändern lassen.«
    »Ich will es nicht wieder ändern lassen, Dad. Ich will
nicht, dass du damit zum Juwelier gehst. Ich muss es selbst machen. Bitte.«
    Sie war aufgestanden und hatte einen Schritt auf mich zu
gemacht. Ich war einen Schritt zurückgetreten, unwillkürlich. Das tust du
automatisch, wenn du angegriffen wirst. Entweder du schlägst zurück, oder du
weichst zurück, gehst in Deckung. Sie hatte das auch bemerkt.
    »Was ist los mit dir, Dad? Wieso willst du mir den Buchstaben
nicht geben? Was ist los?«
    Wir starrten einander an. Jetzt war es wieder wie früher,
wenn wir Dinge übereinander erfuhren, die Väter und Töchter nicht voneinander
wissen sollten. Und dann dämmerte es ihr. Du konntest förmlich sehen, wie es
ihr durchs Hirn jagte, wie ein Fisch, der im Wasser herumschnellt, konntest
das Kräuseln der Wellen sehen, das Begreifen, das in ihren Augen aufleuchtete.
    Sie kam einen Schritt näher. »Gib ihn her, Dad. Gib ihn
mir. Sofort.«
    Sie packte mit einer Hand mein Handgelenk. Das war's.
Hatte nicht lange gedauert, unser Neuanfang, meine Freiheit. Das mit Emily hatte
nicht einmal begonnen.
    Ich öffnete meine Finger. Da war es, Robins
Buchstabensteinchen, lag mit der Vorderseite nach oben auf meiner flachen Hand,
schien wie ein Leuchtturm hinaus aufs düstere Meer. Ich blinzelte. Ich hatte
noch nie etwas so Helles gesehen, etwas so Blendendes, so verdammt
Unglaubliches. Es war ein A, ein verdammtes A. Nur vier As waren übrig gewesen,
und eins war vom Himmel gefallen und hatte meine Seele gerettet. Es war ein
Signal, ein Zeichen, wie

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