Binding, Tim
über jede Ablenkung,
die du kriegen kannst. Ich bin sogar ganz gut.«
»Und Sie haben dieses kleine Set gebastelt. Sie sind handwerklich
ja richtig geschickt.«
»Naja, es war ein Zeitvertreib.«
Ihre Finger streiften leicht die Schachtel. Es war fast unzüchtig,
wie sie sie berührte.
»Ich spiele selbst auch ganz gern«, sagte sie. »Das hab
ich mir gedacht.«
»Zu dritt, zu viert, zu zweit gegen die Uhr. Haben Sie
schon mal Schmuddel-Scrabble gespielt?«
»Wie geht das?«
»Na wie wohl? Wenn man kann, legt man Schimpfwörter,
Kraftausdrücke, alles, was man in anständiger Gesellschaft nicht sagen würde.
Man kann normale Wörter nehmen, wenn ein unanständiges Wort nicht möglich ist,
aber dafür kriegt man auch nur normale Punkte. Bei Schweinkram verdoppelt sich
die Punktzahl. Audrey und ich haben es andauernd gespielt. Sorgt für ein
bisschen Pep.«
Wir blickten auf das Set. Ich sah förmlich schon ein paar
passende Wörter auf dem Brett liegen.
»Also, das ist ja alles sehr interessant, aber was wollen
Sie? Ich hab allerhand zu erledigen. Ich muss Anwälte konsultieren, Wachhunde
kaufen ...«
»Spiele spielen.«
»Gut möglich. Ich trage mich mit dem Gedanken, Künstler
zu werden, wissen Sie? Ich bin nämlich ein Naturtalent für Formen und
räumliches Vorstellungsvermögen. Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet.
Was wollen Sie?«
»Die Frage ist weniger, was ich will, Mr Greenwood, sondern eher, was wir beide wollen.
Sie wollen etwas. Ich will etwas.«
»Aha? Und was will ich, abgesehen vom Offensichtlichen?«
Sie legte die Hände zusammen, als wollte sie beten. »Sie
wollen wissen, wen Sie damals an jenem Sonntagnachmittag von der Klippe gestoßen
haben. Diese ganze Geschichte, dass Sie jedem erzählt haben, Sie hätten mich
runtergestoßen. Das war nicht alles nur Blödsinn, oder?«
Sie stand da, blickte mich forschend an, die Augen weit
offen, starr auf meine gerichtet, herausfordernd. Ich glitt ab zu ihrem Mund,
fragte mich, was sonst noch alles darinsteckte.
»Und ob es das war. Ich saß im Gefängnis für etwas, was
ich nicht getan hatte. Ich wollte Ihren Mann bloß auf mich aufmerksam machen,
ihn dazu bringen, Audrey genauer unter die Lupe zu nehmen. Wenn Ihr Mann
geglaubt hätte, ich wäre damit beschäftigt gewesen, Sie umzubringen, hätte ich
wohl kaum Miranda umbringen können, oder? Ich wusste, dass Audrey es getan
hatte, aber keiner wollte mir glauben.«
Sie trat ans Fenster. Es ist merkwürdig, wie du manchmal
an der Haltung von Leuten erkennen kannst, was sie sagen werden. Sie wandte
sich mir zu, indem sie den Oberkörper in meine Richtung drehte, wie die
Antwort auf ein Fragezeichen. Sie hatte alles choreografiert.
»Ja, das sagen Sie jetzt, wo Sie wieder auf freiem Fuß
sind. Aber wissen Sie was? Sie haben gedacht, genau das wäre passiert. Ich
glaube, Sie waren überzeugt, mich in die Tiefe gestoßen zu haben.«
»Wieso glauben Sie das?«
»Weil ich Ihren Blick gesehen habe, als wir uns das erste
Mal begegnet sind. Da stand Ihnen nicht bloß Überraschung ins Gesicht
geschrieben, MrGreenwood. Es war der reine Schock, der Schock darüber, dass
vier Jahre absolute Gewissheit mit einem Mal weggewischt worden waren. Ich
hab's genau gesehen. Sie haben gedacht, entweder kann sie sehr gut schwimmen -
was übrigens der Fall ist -, oder sie war es gar nicht. Ihnen ist mit einem
Schlag klar geworden, dass Sie jemand anderen von der Klippe gestoßen haben.
Und nun, als freier Mann, wollen Sie wissen, wen.«
»Wieso sollte ich das wollen?«
»Weil der Mensch von Natur aus neugierig ist und Sie ein
Mensch sind, auch wenn Audrey das anders sieht.«
Sie setzte sich, schlug die Beine übereinander, legte eine
Hand auf die Armlehne, sah wieder mit diesem Lächeln zu mir hoch. Ihr
Lippenstift hatte die Farbe von getrocknetem Blut. Es kam mir vor wie meines.
Ich wusste nicht, was tun. Alles abstreiten? Mitspielen? War das ihre Initiative
oder konnte ich den Würgegriff meiner Ex dahinter spüren?
»Sie sagten, ich würde was wollen und Sie würden was
wollen. Ich habe noch nicht gehört, was Sie wollen.«
»Später. Zuerst möchte ich was essen, Mr Greenwood, einen
Drink jetzt sofort und ein anständiges Stück Fleisch danach. Wir könnten uns
hier unterhalten, aber ich würde unsere Diskussion lieber an einem etwas
öffentlicheren Ort fortsetzen. Es könnte ja schließlich sein, dass ich hier
nicht sicher bin.«
Einen Drink! Ich konnte es kaum fassen. Ich hatte keinen
Tropfen
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