Binding, Tim
mich, ob sie selbst das wusste. Sie schien irgendwie nicht
richtig da zu sein.
»Tut mir leid, dass Sie warten mussten, Mrs Blackstock.
Ich hatte die Polizei da.«
»Hab ich gesehen. Was haben Sie denn diesmal angestellt?
Das Ding aufgegessen?«
Sie spielte auf meine ein Jahr zurückliegende Auseinandersetzung
mit dem einzigen Verkehrsordnungshüter in Wool an, dem ich die Schirmmütze
platt getreten hatte. Ich war nur zwei Minuten weg gewesen, um Audrey von der
Fußpflege abzuholen, und sah gerade noch, wie er mir ein Knöllchen hinter den
Scheibenwischer klemmte. Zwei Minuten! Der Vorfall brachte es sogar in die
Zeitungen. Und machte mich zu einem kleinen Helden.
»Ich leg mich nicht mehr mit dem Gesetz an, Mrs Blackstock.
Hab meine Lektion gelernt. Unnötige Aggression gegen Synthetikstoffe führt zu
nichts. Nein, wenn Sie es unbedingt wissen wollen, Miranda Grogan wird
vermisst. Die Polizei befragt die Leute.«
»Die haben Ermittlungen aufgenommen?« Na bitte, sie wusste
bereits Bescheid.
»Na ja, eine Ermittlung kann man das eigentlich nicht
nennen. So lange ist Miranda ja noch nicht weg. Ahm, die Tür, Mrs Blackstock.
Wollen Sie die nicht lieber abschließen?«
»Was?« Sie war schon nach draußen spaziert, blickte zum
Himmel hoch und auf die Bäume und hatte die Haustür weit offen stehen lassen.
Sie bewegte sich auch seltsam, als hätten sich ein paar Schrauben und Muttern
in ihr gelockert. Sie machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Meinetwegen, ziehen Sie sie zu«, sagte sie. »Und dann Abmarsch.«
Ich führte sie zum Wagen. Normalerweise saß sie vorn, aber
an dem Tag steuerte sie auf die hintere Tür zu. Sie hatte ein paar
Schwierigkeiten mit dem Griff. Als sie einstieg, setzte sie sich nicht wie die
meisten Leute in eine Ecke, sondern pflanzte sich glatt in die Mitte, im
Schneidersitz, die Füße unter den Körper gezogen, wie ein kleiner, verhutzelter
Buddha. Füße auf dem Sitz. Mir verschlug es die Sprache. Sie sah, dass ich sie
anschaute.
»Ich versuche nur, die Ruhe zu bewahren. Ich freue mich
nicht gerade auf das, was mich erwartet.«
Ich startete den Motor, und wir fuhren los. Oben, wo unsere
kleine Straße auf die Hauptstraße trifft, die aus dem Dorf rausführt, stand DI
Rump vor der Polizeiwache und unterhielt sich mit dem Hühnerauge. Als wir das
Tempo verlangsamten, ließ Mrs Blackstock die Scheibe runter.
»Juhuu«, rief sie. »Master Rumpy-Pumpy!«
Er wirbelte herum. Ich blickte weg. Wenn ich eins in meiner
Jugend gelernt habe, dann, dass es keine gute Idee ist, sich über einen
Polizisten lustig zu machen. Sie schob den Kopf aus dem Fenster.
»Wie misst man den Umfang eines Kreises? Na los, schnell.«
Ein Grinsen machte sich in seinem Gesicht breit. »Man
läuft mit einem Maßband drum herum, Mrs Blackstock.«
»Bravo.« Sie zeigte ihm den gestreckten Daumen und ließ
sich kichernd zurück in den Sitz sinken. Wir bogen auf die Hauptstraße.
»Offenbar kennen Sie ihn?«, sagte ich und verstellte den
Spiegel ein wenig.
»Adam Rump? Ich hab ihm Nachhilfe in Mathe gegeben, für
die mittlere Reife.«
»Na so was.«
»Ist gut siebzehn Jahre her. Als ich in West Knighton gewohnt
hab. Er hat unterm Tisch immer mit sich gespielt.«
Ich spürte, wie das Lenkrad unter meiner Hand einen Ruck
machte.
»Diese angehenden Polizisten«, sagte ich. »Ich wette, Sie
haben dem einen Riegel vorgeschoben.«
»Wieso hätte ich das tun sollen? Ist doch völlig normal,
dass ein Junge mit sich spielt. Ist völlig normal für beide Geschlechter. Wir
sollten alle ab und zu mit uns spielen.«
Ich blickte in den Spiegel. Sie hatte ihre tibetische
Mütze abgesetzt und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Ihre Augen waren
glasig, und die Luft, die vom Rücksitz rüberwehte, roch unnatürlich süß. Dann
fiel der Groschen. Alice Schnüffelnase hatte gekifft.
»Alles in Ordnung mit Ihnen, Mrs Blackstock? Sie kommen
mir irgendwie ein bisschen anders vor als sonst.«
Sie atmete tief ein.
»Ich hab eine Kleinigkeit genommen, um meine Nerven zu
beruhigen. Kann Spritzen nicht vertragen.«
»Was wird denn bei Ihnen gemacht? Eine Füllung?«
»Wurzelbehandlung. Das volle Programm.« Sie beugte sich
vor. Ich dachte, sie würde vornüber auf den Boden kippen. »Sie lassen mich
doch nicht allein, oder? Sie sind für mich da, im Wartezimmer, für alle Fälle.
Wenn Sie mich schreien hören, schreiten Sie ein. Wenn's sein muss, mit Gewalt.
Hauptsache, Sie holen mich da raus.«
Sie sank zurück und
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