Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Binding, Tim

Binding, Tim

Titel: Binding, Tim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cliffhanger
Vom Netzwerk:
einmal falsch abbiegen, und wenn es nach ihm ging, war's
das, Freundchen, da warst du geliefert. Langsam schwante mir, wie er das
gemeint hatte. Aber schlecht gefahren ist er damit anscheinend trotzdem nicht,
mit der ganzen Tristesse.
    Auf einer Ausfallstraße kamen wir an einem von diesen
alten Briefkästen vorbei, der auf vier Beinen gestützt aus einer Hecke
hervorlugte. Er sah aus wie ein alter Rentner, der darauf wartet, die Straße zu
überqueren. Prompt fiel es mir wieder ein. Ich hatte vergessen, Audreys
Päckchen mitzunehmen. Ich wollte nicht, dass es unbewacht herumlag. Und ich
musste mich noch um die Sporttasche vom Major kümmern. Sobald wir außerhalb der
Ortschaft waren, gab ich Gas.
    »Rauchen Sie eine mit?« Die alte Schnüffelnase war wieder
zu sich gekommen.
    »Eine Zigarette? Ich weiß nicht, Mrs Blackstock. Meine
Kunden...«
    »Keine Zigarette. Eine Tüte, einen ordentlichen Joint.«
Sie klopfte auf ihre Handtasche. »Ist hier drin, einsatzbereit. Wir könnten
irgendwo parken, uns einen reinziehen. Ist guter Stoff.«
    »Das ist illegal, Mrs Blackstock. Ich muss an meine Zulassung
denken. Außerdem, was würde Adam Rump sagen, wenn er hört, dass seine
Lieblingsmathelehrerin versucht, einen Kapitän der Landstraße zu verführen?«
    »Wen interessiert's? Wen interessiert's, was irgendwer
sagt? Wer interessiert sich überhaupt für irgendwen? Interessiert sich jemand
für Sie, Al? So richtig?« Sie lallte und sprach aus dem Mundwinkel.
    »Wahrscheinlich nicht.«
    »Sehen Sie? Für mich auch nicht. Und die arme Miranda,
interessiert sich jemand für sie?«
    »Ihre Mum und ihr Dad.«
    »Außer denen.«
    »Das reicht doch, oder?«
    »Normalerweise nicht. Wie erklärt man sich denn ihr Verschwinden?«
    »Ich glaube nicht, dass es eine Erklärung gibt.«
    »Na, ich hab eine. Sie wollte weg. So einfach ist das.
Wollten Sie das nicht auch in dem Alter? Ich auf jeden Fall.« Sie fing an zu
singen, keinen Song, den ich kannte, irgendwas mit die Stadt verlassen, um in
eine andere zu ziehen, und sie wiederholte dieselbe Zeile immer und immer
wieder, wie man es macht, wenn man sich nicht richtig an den Text erinnern
kann. Außerdem sang sie grottenfalsch, das heißt, falls es überhaupt eine
Melodie gab. War schwer zu sagen, so wie sie schwankte, als wäre sie auf einer
ungemütlichen Kanalüberquerung und würde alles halbverdaut hochwürgen. Dann
packte sie einen der Gurte, richtete sich auf und schluckte es runter. »Wie
lange ist sie weg?« Sie schnappte nach Luft und stieß einen übelriechenden
Rülpser mit süßlichem Abgang aus.
    »Seit Sonntagnachmittag. Da hat's geregnet, wenn Sie sich
erinnern, richtig gegossen. Sie hatte einen gelben Regenmantel an.«
    »Tatsache?« Sie beugte sich vor, hatte plötzlich hellwache
Augen. »Ich hab sie gesehen! Aus dem Fenster.«
    »Ach ja?« Das gefiel mir gar nicht, Schnüffelnase als aufgeregte
Bilderbuchzeugin.
    »Auf dem Weg zum Kliff. Ein gelber Regenmantel! Ich hab
nicht groß drauf geachtet, weil meine Wäscheleine gerissen war und meine Wäsche
durch den Garten geweht wurde. Halb fünf muss das gewesen sein, so um den
Dreh.«
    Sie saß da und blickte triumphierend. Das war heikel. Was
sollte ich sagen? Nein, war es nicht, ja, war es? Vielleicht hatte Audrey die
ganze Zeit recht gehabt. Ich hörte plötzlich, wie ich ihre Worte wiederholte.
    »Na, kann gut sein, dass sie es gar nicht war. Das halbe
Dorf trägt gelbe Regenmäntel. Sie können nicht eindeutig sagen, dass es Miranda
war, oder?«
    »Ich kann auch nicht eindeutig sagen, dass sie es nicht
war. Wenn die jemanden suchen, der einen gelben Regenmantel anhatte.« Sie hob
eine Hand an den Mund. »Mein Gott, die Klippe. Sie glauben doch nicht...«
Wieder fing sie an zu schwanken.
    »Na, na, Mrs Blackstock, ich glaube, jetzt sind wir ein
bisschen voreilig. Wie Sie selbst gesagt haben, Miranda hat wahrscheinlich die
Biege gemacht, ab nach London, oder sie hat in Poole die Fähre genommen, um
sich mit einem Franzosen zu amüsieren. Sie könnte überall sein.«
    »Aber die Polizei sollte erfahren, was ich gesehen habe,
meinen Sie nicht?«
    »Schwer zu sagen. Die wollen bestimmt mehr hören, Genaueres.
Ein Vielleicht genügt denen nicht. Haben Sie an dem Nachmittag irgendwas
Genaueres gesehen?«
    »Ja, hab ich.«
    »Was?«
    Sie beugte sich vor, tippte mir auf die Schulter. »Ich
habe Sie gesehen.«
    Da wurde mir kalt, aber ich wurde gleichzeitig auch ganz
ruhig. Wasser wirbelte mir um die Füße, darunter

Weitere Kostenlose Bücher