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Binding, Tim

Binding, Tim

Titel: Binding, Tim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cliffhanger
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Sie damals viel Nachhilfe in Mathe gegeben?«
    »Mathe und Geografie. Auch Französisch, wenn es sein
musste.«
    »Eine richtige kleine Privatschule, was? Hat bestimmt ganz
schön was eingebracht.«
    »Es ging mir nicht ums Geld. Ich mochte Kinder, da ich
selbst keine habe.«
    »Unterrichten Sie jetzt nicht mehr?«
    »Ich bin nicht mehr auf der Höhe des Geschehens.«
    Sie sagte das mit Bedauern, als würde sie es vermissen,
als vermisste sie es, etwas Positives zu tun. Und ich konnte es mir gut
vorstellen, eine jüngere Mrs Schnüffelnase, resolut, energisch, wie sie ihre
Schüler zum Lernen bringt. Wenn ich eine Mrs Schnüffelnase gehabt hätte, wäre
aus mir vielleicht etwas ganz anderes geworden. Plötzlich hatte ich einen
Geistesblitz.
    »Wie wär's, wenn Sie mir Unterricht geben?«, sagte ich.
    »Ihnen? Was wollen Sie denn mit Mathe?«
    »Nicht Mathe. Französisch. Wollte ich schon immer lernen.«
    Vor meinem inneren Auge nahm es bereits Gestalt an. Genau
das würde ich machen. Audrey loswerden, das Geschäft verkaufen und nach
Frankreich gehen. Croissants zum Frühstück, guten Kaffee und irgendwo ein
hübsches kleines Cafe, wo ich abends ein Gläschen Wein trinken würde. Ich
könnte in Immobilien machen. Ich könnte Taxi fahren, wenn ich wollte. Ich
könnte tun und lassen, was ich wollte. Müsste Torvill und Dean natürlich
mitnehmen, aber das dürfte kein Problem sein, obwohl die Reise ihnen nicht gefallen
würde. Frankreich, das war die Lösung, irgendwo in der Normandie oder ein
bisschen weiter südlich, Bergerac. Vielleicht im Landesinnern. Ich hatte genug
vom Meer.
    »Na, was sagen Sie? Zwei Stunden die Woche.«
    »Ach, ich weiß nicht. Es ist Jahre her.«
    »Kommen Sie, Mrs Blackstock. Sie haben doch nichts zu
verlieren. Wissen Sie was? Sie geben mir Französischstunden, und dafür fahr
ich Sie kostenlos in meinem Taxi, wann Sie wollen.«
    Sie lachte und kippte den Drink in sich hinein. In einem
Zug. Fast ohne zu schlucken.
    »Also schön. Abgemacht. So, kommen Sie. Bringen wir die
Folter hinter uns.«
     
    Sie wollte nicht reingehen. Ich musste ihr draußen eine
von meinen Zigaretten geben, und sie lehnte sich an die Motorhaube. Sie
rauchte schnell, energisch, wie eine junge Frau es vielleicht täte, gekonnt und
leicht nervös. Die Jahre fielen von Minute zu Minute von ihr ab. An ihrer
Haltung, den kleinen Gesten der Ungeduld, der Art, wie sie das Hinterteil auf
die Schräge der Motorhaube stützte, konnte ich sehen, wie sie mal gewesen sein
musste, wie sie ausgesehen haben musste, schlank und selbstsicher, eine andere
Alice, nicht Mrs Blackstock und erst recht nicht die alte Schnüffelnase.
    Als sie erst mal drin war, musste sie nicht warten. Die
wussten sicher, dass das keine gute Idee gewesen wäre. Ich setzte mich ins
Wartezimmer und blätterte ein paar Frauenzeitschriften durch. Sinnlos. In
keiner stand was über Frankreich. Danach las ich ein Kinderbuch über eine Katze
und einen Besenstiel. Es war richtig gut. Irgend so eine alte Schachtel beäugte
mich die ganze Zeit, als würde ich die Schaukel auf einem Kinderspielplatz in
Beschlag nehmen, aber eine Geschichte ist und bleibt ja wohl eine Geschichte,
egal für welches Alter sie gedacht ist. Alle Geschichten sind eigentlich
Kinderkram, alle sind sie erfunden. Vierzig Minuten später kam sie wieder
raus. Blass, mit einem dünnen Lächeln.
    »Zeit, nach Hause zu fahren, Al. Zeit, nach Hause zu fahren.«
    Sie wankte den Flur hinunter. Ich wollte ihren Arm nehmen,
aber sie schüttelte mich ab.
    »Es geht schon. Überhaupt, wenn ich hinfallen würde, würde
ich rein gar nichts spüren. Drei Spritzen hat sie mir verpasst. Ungewöhnliche
Widerstandsfähigkeit, meinte sie. Meine Vergangenheit holt mich ein.«
    Sie öffnete die hintere Tür und stieg ein, wie es ein großer
Hund machen würde, Kopf voraus, beide Hände auf den Sitz, dann ein Knie zuerst.
Ich fasste sie in der Taille.
    »Moment. Ich helf Ihnen.«
    Ich packte fester zu und drehte sie um. Sie war nur Haut
und Knochen, aber darunter spürte ich trotzdem eine gewisse Geschmeidigkeit.
Sie lehnte sich zurück und schloss die Augen. Wir fuhren los. Eine liebreizende
Stadt, Dorchester, zum Bersten voll mit Geschichte, unbarmherzige Richter und
alte Festungen und Hirten in Kitteln, die ihre Schäfchen zum Markt trieben.
Ein Schriftsteller stammte auch von hier, soll ein alter Miesepeter gewesen
sein, hatte düstere Ansichten über das, was man menschliches Streben nennt.
Einmal ausrutschen,

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