Binding, Tim
trieben Fäden der Geschichte.
»Mich. Und wann?«
»Am selben Nachmittag, im Regen. Sie sind über den hinteren
Pfad gelaufen, geduckt, als wollten Sie nicht gesehen werden.«
»Ich hatte mir am Samstag einen Muskel gezerrt, beim
Steineschleppen.« Ich rieb mir das Kreuz. »Macht mir immer noch arg zu
schaffen.«
»Hat Sie aber nicht gehindert, über Ihren Zaun zu springen,
was?«
Ich blickte in den Spiegel. Sie saß kerzengerade da, den
Kopf schräg gelegt wie ein Hund, einen schelmischen Zug um den Mund. Die alte
Mrs Schnüffelnase. Sah auf den ersten Blick aus wie ein Windhauch. Ich lachte.
»Wo waren Sie denn, Mrs Blackstock? Ich kann mich nicht
entsinnen, Sie gesehen zu haben.«
»Oben in einem Baum. Ich hab doch gesagt, die Wäscheleine
war gerissen. Die Hälfte von meinen Unterhosen hatte sich da oben verfangen.«
Sie kicherte. »Ich war dabei, sie runterzufischen, als ich Sie gesehen hab, wie
Sie da langschlichen. Wie Geronimo, auf der Jagd nach einem Skalp.«
»Leider Gottes waren an dem Nachmittag keine Weißen
unterwegs, Mrs Blackstock. Die Farbe für die schöne Kriegsbemalung hätte ich
mir sparen können.«
»Tja, aber irgendwas haben Sie im Schilde geführt.«
Herrje. Das war nicht gut.
»Ich hab Audrey gesucht, Mrs Blackstock.«
Kaum hatte ich es ausgesprochen, da wusste ich, dass es
ein Fehler war. Aber es war mir wie im Kopf eingebrannt, dass wir beide draußen
gewesen waren, Audrey in einem gelben Regenmantel, ich in schlechter Stimmung.
Darauf hatten wir uns schließlich beide geeinigt. Wenn sie unsere Geschichte
nicht in letzter Sekunde geändert hätte, wäre es richtig gewesen, das zu sagen,
genau richtig. Schnüffelnase stürzte sich darauf wie ein Terrier auf eine
Ratte.
»In den Hecken?«
»Wir hatten uns ein bisschen in die Wolle gekriegt. Sie
war eingeschnappt und ist nach draußen gegangen. Blieb eine Weile weg. Ich bin
los, um sie zu suchen. Dachte, sie ist vielleicht in einen Graben gerutscht.
Ich bin nicht geschlichen.«
Sie schnaubte, als würde sie mir nicht so richtig glauben.
Und ich konnte es ihr nicht verdenken. Ich glaubte mir auch nicht so richtig.
Das war schlecht und wurde immer schlechter.
Ich fuhr weiter und von der weichen Federung des Wagens
wurde sie wieder schläfrig. Das kann er, der Vanden Pias, dich entspannen, wenn
du völlig aufgekratzt bist. Der Drink und das Gras taten ihr Übriges. Als ich
vor ihrem Gartentor parkte, fiel ihr Kopf schlaff gegen die Rückenlehne wie
bei einer Stoffpuppe. Sie war noch nicht völlig weggetreten, aber viel fehlte
nicht mehr.
»Wir sind da, Mrs Blackstock. Trautes Heim, Glück allein.«
»Was?«
»Dancing Days.«
»Dancing Days? Dancing Days? Sie fing
wieder an zu singen, und dabei lief ihr Sabber aus dem Mund, weil ihre Lippen
nicht richtig gehorchten. »Dancing Days are here again. Dancing
Days are here again.« Wieder kicherte sie.
»Soll ich Ihnen ins Haus helfen, Mrs Blackstock, nur damit
Ihnen auch nichts passiert?«
Ich zog sie aus dem Wagen. Ich führte sie den Gartenweg
hoch. Ich nahm den Haustürschlüssel aus ihrer kleinen Tasche und schloss die
Tür auf. Der Spiegel warf mein Abbild zurück, Anzug, getönte Brille und braune
Lederhandschuhe. Ich konnte sehen, wie Gedanken aus meinem Kopf wirbelten.
Wenn wir doch nur durch den Sprung im Spiegel spazieren könnten, in eine andere
Welt.
Ich hängte die Tasche über die Balustrade und schloss die
Tür hinter mir.
»Wohin jetzt, Mrs Blackstock?« Meine Stimme hallte durch
die Diele, als wäre das Haus seit Jahren leer. In gewisser Weise war es das
auch.
Sie hob ruckartig den Kopf.
»Ins Wohnzimmer«, sagte sie. »Ich muss mich hinlegen.«
Diesmal hakte sie sich bei mir ein, und wir stiegen langsam
die Treppe hoch, ihr Gewicht auf meinem Arm. Es war ein schönes Gefühl. Ich mag
alte Ladys, ihre Stärke, was sie alles gesehen haben. An der Wand hingen
Poster, alte Rockkonzerte und Popfestivals, und Fotos von einem kahlköpfigen
Mann mit Trophäen und goldenen Schallplatten in der Hand. Göttergatte Nummer
zwei, vermutete ich. Oben an der Treppe führte ein kleiner Korridor nach links.
Ich sah zwei Türen und ein Badezimmer am Ende. Ansonsten öffnete sich einfach
dieser große Raum, mit nackten Dielen und Sofas, einer riesigen LP-Sammlung an
einer Wand und dem Stutzflügel aus glänzendem Mahagoni genau in der Mitte. Und
tatsächlich, das Guinnessbuch der Rekorde stützte das hintere Bein. Wir gingen
rüber zu dem großen Sofa am Fenster. Auf dem
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