Binding, Tim
die
Einsamkeit einfach auf den Kieseln auf und ab gespült wurde, und Mum saß nur
da und sah zu, wie sie auf dem Wasser trieb, während ich ganz weit in ihr
hinausschwamm oder zu den Gezeitentümpeln ging, wo ich auf der Suche nach ihr
Steine umdrehte oder einfach auf den wenigen sandigen Stellen saß und Pläne
schmiedete für die Zeit, wo ich sie um uns wickeln konnte wie eine Hülle und
niemanden hereinlassen. So war das zwischen uns. An manchen Tagen wechselten
wir kaum ein Wort, und an anderen redeten wir wie ein Wasserfall, die Worte
sprudelten nur so aus uns raus. Und auch darin lag eine Art Einsamkeit, nur sie
und ich, und wie wir Dinge sagten. Aber als sie dann ging, nahm sie die Einsamkeit
mit. Ich konnte sie nirgends finden. Übrig blieben nichts als Lärm und
Geschwafel, Sauftouren, schneller Sex, Prügeleien. Ich bin nicht von ungefähr
der Sohn meines Alten. Und wohin hat es mich gebracht? Hierher, in diesen beknackten
Bungalow, ich kutschiere meine beknackten Kunden durch die Gegend, lebe dieses
beknackte Leben. Wäre mir doch bloß früher ein Licht aufgegangen, dann hätte
ich die Einsamkeit gesucht, wäre allein um die Welt gesegelt oder, noch besser,
wäre in die Vergangenheit gereist und Cowboy im Wilden Westen geworden, wie der
Mann ohne Namen, oder wie Shane. Shane hatte die Einsamkeit förmlich in seine
Wildlederjacke eingenäht. Er sieht aus wie die Einsamkeit, er verhält sich wie
die Einsamkeit, selbst seine Stimme klingt, als hätte er mit niemandem mehr gesprochen,
seit der Grand Canyon ausgetrocknet ist. »Wo soll's denn hingehen?«, fragt man
ihn. »Irgendwohin, wo ich noch nie war«, erwidert er. Da will ich auch hin,
irgendwohin, wo ich noch nie war, oder irgendwohin, wovon ich als Kind einmal
eine Ahnung bekam, ein Ort, den ich wiederfinden möchte. Darum ging es doch
eigentlich, die alte Mutter Einsamkeit wiederzufinden, diesen Raum um mich
herum einzurichten. Ich wollte ihn dauerhaft.
Ich parkte den Wagen, steckte die Tabakdose in die Tasche
und nahm mich zusammen, versuchte, nicht an Mrs Schnüffelnase zu denken, die
wie ein Häufchen Elend unten vor der Treppe lag. Ich war das eigentlich nicht
gewesen, nicht richtig. Nur ein Fuß, nein, nicht mal das, nur die Spitze eines
Lederschuhs, gehalten in einem Winkel von fünfundvierzig Grad. Ich konnte sie
doch nicht rumerzählen lassen, dass sie mich draußen gesehen hatte, auf gar
keinen Fall. Oben in einem Baum, nicht zu fassen, bei dem Wetter. Hatte sie
sich selbst zuzuschreiben.
Audrey war im Wintergarten, die Füße auf dem Zweisitzersofa
aus Bambus. Sie hatte sich wieder das Gesicht bemalt, ihre Lippen sahen aus
wie diese Absperrschranken, mit denen Kanalarbeiter einen offenen Gullydeckel
sichern. Schon bei dem Anblick drehte sich mir der Magen um.
»Wie ging's ihr?«, fragte sie, während sie in einer Illustrierten
blätterte.
Gute Frage. Zeit, das Fundament zu legen.
»Nicht besonders. Sie hat Gott weiß wie viele Spritzen bekommen.
Konnte kaum geradeaus gehen, auf dem Weg zum Auto.«
»Ich hoffe, du hast dich vergewissert, dass sie heil ins
Haus gekommen ist.«
»Klar. Hab sie die Treppe hochgebracht und sie aufs Sofa
gelegt. Hab ihr sogar angeboten, ihr eine Tasse Tee zu machen, aber sie wollte
nicht.«
Ich konnte nicht mal sagen, ob sie zugehört hatte, so beschäftigt
war sie mit ihrer Lektüre. Ich meine, was bringt es, sich ein Alibi zu
verschaffen und die Saat auszusäen, wenn kein Schwein das mitkriegt?
»Audrey. Ich glaub, ich geh und...«
»Fütter die Fische. Ja, ich weiß.«
Blätter, blätter. Sie schaute nicht mal auf. Ich ging in
die Küche. Ich fütterte immer gern die Fische, aber jetzt hatte ich Wichtigeres
zu tun. Ich musste Audreys Päckchen verschwinden lassen, den BH zurück in die
Sporttasche des Majors stopfen, dem ganzen Unfug ein Ende machen. So einen Quatsch
konnte ich jetzt nicht gebrauchen. Ich öffnete den Hängeschrank. Eine Packung
Fischfutter. Von einem Päckchen keine Spur.
»Audrey«, rief ich so beiläufig wie möglich. »Was hast du
mit dem Überraschungspäckchen für die Newdicks gemacht?«
»Was glaubst du wohl, was ich damit gemacht habe? Ich
hab's eingeworfen.«
»Im Dorf! Bist du verrückt geworden?« Ich stürmte zurück
in den Wintergarten, den rasselnden Karton mit dem Fischfütter in der Hand. Sie
saß da, ihr typisches Siegergrinsen im Gesicht. Ich hätte ihr das Futter in den
Rachen stopfen können. »Warum hast du das Päckchen nicht gleich persönlich
hingebracht?
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