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Bindung und Sucht

Bindung und Sucht

Titel: Bindung und Sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Heinz Brisch
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und der verbreiteten polytoxikomanen Konsummuster lassen sich diese Erkenntnisse nicht ohne weiteres übertragen. Gleichwohl belegen volumetrische Studien regional dünnere Kortexbereiche bei heroin- und methadonexponierten Säuglingen. Auch neuropsychologische Schwierigkeiten sind bei Kindern, die diaplazentar Heroin ausgesetzt waren, nachgewiesen. Neuroimaging-basierte Untersuchungen lassen für die Zukunft näheren Aufschluss über die genauen Zusammenhänge erwarten (Walhovd et al. 2009).
    Der unbehandelt meist dramatisch verlaufende Entzug des Säuglings kann durch geeignete stationäre Behandlungsmodelle mit Tinctura Opii oder Morphin, seltener Phenobarbital, deutlich abgemildert werden. Insgesamt kann man davon ausgehen, dass das Risiko der Folgen des intrauterinen Drogenkontaktes im Verhältnis zu den psychosozialen Risiken geringer einzustufen ist (Ornoy et al. 1995). Hierbei sind allerdings die Wechselwirkungen zwischen den organisch verursachten Regulationsproblemen eines intrauterin opiatexponierten Säuglings und der Interaktions- und damit Beziehungsdynamik mit seinen primären Bezugspersonen nicht zu unterschätzen.
    2.) Psychosoziale Risikofaktoren:
Störungen im Aufbau einer förderlichen Mutter-Kind-Beziehung durch emotionale Instabilität, schwankende Zuwendungsbereitschaft und gehemmtes Elternverhalten, dadurch chronische Stressbelastung der Kinder, die sich im Gehirnaufbau auswirkt;
Diskontinuität in der basalen Versorgung und Betreuung. Dieser strukturell bedeutsame Aspekt führt bei über 30 % der Kinder zur Herausnahme aus der Ursprungsfamilie und Überstellung in Pflegefamilien gleich nach der Geburt, bei weiteren 20 % im Verlauf der ersten Lebensjahre (vgl. Berger et al. 2003);
komorbide Störungen wie Depressivität, Borderline-Störung, antisoziales Verhalten bei bis zu 70 % der betroffenen Frauen (vgl. Klein 2001);
Weitergabe unsicherer Bindungsmuster und dysfunktionaler individueller und familiärer Bewältigungsstrategien. Die Mütter zeigen in der Regel einunsicheres Bindungsmuster, das ohne entsprechende Intervention in den meisten Fällen auf das Kind übertragen wird;
mangelnde Entwicklungsanregung, die sich als motorische, sprachliche, kognitive oder emotionale Entwicklungsverzögerung auswirken kann.
    Diese Risiken bilden die entscheidende Grundlage für das gehäufte Auftreten psychischer Störungen im Kleinkind-, Vorschul- und Schulalter, insbesondere externalisierender Störungen wie ADHS, Störungen des Sozialverhaltens mit Aggressivität, Schulschwierigkeiten (vgl. Englert & Ziegler 2001). Auch das ca. 50-prozentige Risiko einer späteren Abhängigkeitsentwicklung wird vor allem dem psychosozialen Bedingungsgefüge zugeschrieben.
    Neuere, MRT-gestützte Forschungen legen nahe, dass bei den Müttern neuronale Regelkreise für Beelterungsverhalten (parenting behavior) sich mit solchen überschneiden, die mit Sucht assoziiert sind (Landi et al. 2011), und somit vom Säugling ausgehende akustische und visuelle Stimuli nicht adäquat beantwortet werden können. Das kann zu einer Einschränkung der Interaktionsqualität zwischen Mutter und Kind und damit zu einer Entwicklungsstörung führen. Biologische und psychosoziale Risikofaktoren greifen damit in einer unkalkulierbaren Weise ineinander, was Forschungs- und Hilfeansätze erschwert.
Interaktion, Regulation und Einstellungen – ein Forschungsprojekt
    Das im Folgenden beschriebene, vom Land Nordrhein-Westfalen geförderte Forschungsprojekt wurde in Kooperation mit mehreren Institutionen der Frühförderung, der Drogenhilfe und anderen Einrichtungen des Gesundheitssystems (Geburtskliniken, Rehakliniken) entwickelt und durchgeführt. Wir wollten dabei feststellen, ob bei drogenabhängigen Müttern und ihren Säuglingen typische Interaktions- und Regulationsmuster beschreibbar sind, nach denen Regulation und Co-Regulation in der Dyade funktionieren, und mit welchen Einstellungen die Mütter ihrem Kind und ihrem Mutter-Sein gegenüberstehen. Am Schluss stand die Frage, wie effektive Hilfeangebote zur Prävention in Bezug auf Entwicklungsbeeinträchtigungen, auf interaktionelle Teufelskreise zwischen Mutter und Kind und auf eine transgenerationale Weitergabe der suchtfördernden Strukturen in diesen Mutter-Kind-Dyaden beschaffen sein könnten.
    Die Untersuchungen folgten einem standardisierten Ablauf und wurden vom Autor und zwei geschulten wissenschaftlichen Hilfskräften, beides erfahrene Mütter, durchgeführt. Insgesamt haben

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