Biodiversität: Unsere wertvollste Ressource
zeitweise geschlossen, weil die Verkehrswege in den Parks nur eine begrenzte Anzahl von Autos aufnehmen können. Die Erlaubnis, mit dem Rucksack ins Hinterland der Parks zu wandern, wird streng reglementiert – aber das wollen die meisten Gäste auch gar nicht. Sie beschränken sich auf den Besuch der zentralen Aussichtspunkte. Dass auch diese Natur nicht mehr naturbelassen ist, überrascht kaum. Die Wölfe im Yellowstone-Nationalpark wurden in den 1930er-Jahren ausgerottet, von den einstmals riesigen Bison-Herden hatten Anfang des 20. Jahrhunderts nur wenige Dutzend Tiere überlebt. Die Bisons wurden in den 1920er-Jahren durch eine gezielte Zucht gerettet, sodass heute mehrere tausend Tiere dort leben. Wölfe wurden erst 1995 erneut eingeführt, nun gibt es wieder mehr als einhundert Tiere, die sich auch im Umkreis ausgebreitet haben. Ähnlich wie bei den „fünf Großen“ in Ost- und Südafrika gehört es im Yellowstone einfach dazu, mindestens ein Bison gesehen zu haben. Wolf und Bär, ob Grizzly oder Schwarzbär, und der Wapiti-Hirsch runden das Fotoalbum des Touristen ab. Zumindest bei einigen Arten ist die Sichtung nicht weiter schwer: Bisons haben mittlerweile eine so geringe Scheu, dass sie direkt neben den Straßen zu entdecken sind. Schwarzbären sind sogar zum regelrechten Problem geworden, weil sie sich an den Müll der Camper als Nahrungsergänzung gewöhnt haben.
Das Millennium Ecosystem Assessment kommt bei den kulturellen Dienstleistungen zu einem ambivalenten Schluss: Erholungsfunktion und (nachhaltiger) Tourismus in der Natur haben zugenommen. Mehr als die Hälfte der Menschheit wohnt heute in Städten, eine naturnahe Umgebung als Ausgleich ist daher ein wichtiger Faktor für deren Wohlbefinden. Dagegen stehen die entsprechenden negativen Auswirkungen einer Massennutzung – man stelle sich nur eine nicht durch Hotelkomplexe zugebaute Mittelmeerküste vor.
In unserer Gesellschaft schätzen wir viele Dinge wert. Eine gute Mahlzeit des Agrar- und Fischereisektors, vielleicht mit einem guten Stück Kabeljau oder Rindfleisch und verschiedenen Gemüsesorten und Kartoffeln dazu. Zum Dessert eine Mousse au Chocolat oder Crème brûlée mit Kakao oder Vanille aus den Tropen. Der Bausektor erfreut uns, wenn wir ein neues Haus beziehen können, am liebsten im Grünen und vielleicht sogar mit vielen natürlichen Baustoffen gebaut. Bei den Dienstleistungen steht für uns heute, glaubt man der Werbung, ein schneller Internetzugang mit dem neuesten Mobilfunkgerät an erster Stelle. Schaut man aber auf Umfragen, die sich damit beschäftigen, was für das Wohlergehen der Menschen am wichtigsten ist, haben meist immer noch Gesundheit, Partnerschaft und Familie die Priorität vor den wirtschaftlichen Dingen. All diese Aspekte unseres Wohlergehens drücken wir in Werten für unser persönliches Leben und unser Zusammenleben aus. Verblüffenderweise sind viele dieser Dinge, ob direkt oder indirekt, mit dem Facettenreichtum der Natur und ihren Leistungen für uns verbunden. Darin spiegelt sich in vielfältiger Weise die Rolle der Natur als nullter Sektor unserer Wirtschaft und Gesellschaft wider.
Die Wissenschaften haben lange Zeit die Grundidee, die Natur als Basis all unseres Wirtschaftens und Handelns anzuerkennen, links liegen gelassen. Natur-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften waren sauber getrennt, und die Natur galt vornehmlichals eine rein statische oder zumindest den Bedürfnissen anpassbare Randbedingung unserer Verwirklichung und unseres Wertesystems. Auf einem enger werdenden Planeten wird dies aber nun neu überdacht, natürliche Grenzen werden wahrgenommen und als eine erweiterte Basis des wirtschaftlichen Handelns erkannt. Die sogenannte ökologische Ökonomie, die erst in den 1980er-Jahren als Gegenentwurf zur klassischen Ökonomie entstand, setzt das menschliche Handeln und Wirtschaften in den Rahmen der natürlichen Ressourcen. Kernpunkt ist dabei die Frage, wie wir Menschen mit begrenzten, von uns wertgeschätzten Ressourcen so umgehen können, dass sie auch dauerhaft erhalten bleiben, mit dem Ziel, dass wir sie weiterhin nutzen können und die Natur, welche all dies schafft, auch erhalten bleibt.
Dieser kleine Dreisatz – Natur schützen, um zu erhalten, was wir aus ihr nutzen – ist vielleicht die komplexeste Formel, die die Wissenschaft zu verstehen und in Handlungswissen zu übersetzen hat. Denn die Gleichungen sind für jeden Fall neu und nicht immer sofort einleuchtend, und sie
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