Biodiversität: Unsere wertvollste Ressource
bergen zahlreiche Konflikte, zum Beispiel zwischen Aal und Wasserwirtschaft, zwischen Kormoran und Freizeitangler, zwischen Hochwasserschutz und Schifffahrtsstraße, zwischen Landwirt und Natur- und Artenschützer.
Gründe für Wertschätzung sind auch Gründe für ein Mehr und ein Weniger
Das Spannungsfeld zwischen dem Schutz der Natur einerseits und der Nutzung ihrer Leistungen für den Menschen andererseits wirkt sich auf alle Facetten der Biodiversität aus – auf Arten, Populationen, Ökosysteme und ihr Zusammenwirken. Es zeigt die Komplexität des menschlichen Umgangs mit der Natur. Der Bielefelder Umwelthistoriker Joachim Radkau bezeichnet dieseschwierige Beziehung als eine „spannungsvolle Mischung destruktiver und schöpferischer Prozesse“, denn der Mensch wägt auf den verschiedenen Skalen, meist aber in seinem direkten Umfeld, bei seinen Entscheidungen verschiedene Werte gegeneinander ab. Er ist schöpferisch tätig, um den Nutzen von Naturgütern auszuweiten und zu sichern. Ohne die Naturgüter könnten wir nicht überleben, sie bilden unsere Lebensgrundlage. Aber das Schöpferische äußert sich nicht allein konstruktiv, sondern auch in der Destruktion – entweder direkt, wenn es darum geht, Schädlinge oder gefährliche Tiere zu töten, oder indirekt, indem wir Flüsse mit Nährstoffen anreichern, die eigentlich nebenan auf einem Acker zum besseren Wachstum der Anbaufrüchte eingesetzt werden.
Die schöpferische Beziehung zur Biodiversität äußert sich aber genauso im bewussten Umgang mit unserer Umwelt, die wir über unsere direkten biologischen Bedürfnisse hinaus schätzen und deswegen erhalten wollen. Dies mag dem Genuss und der Entspannung dienen, geschaffen durch einen Garten und Park, oder zur Erhaltung der Natur aufgrund ihres Eigenwertes in Naturschutzgebieten und Nationalparks. Nicht zuletzt kann es auch in der schlichten Faszination für die Komplexität der Vielfalt begründet sein, die uns umgibt.
Wolfgang Haber, einer der führenden Ökologen Deutschlands der letzten Jahrzehnte, hat diese schwierige Beziehung des Menschen zur Natur sehr schön und treffend beschrieben: Er spricht vom Menschen als einem biologisch-geistigen Doppelwesen. Als biologisches Wesen gleichen unsere Eigenschaften, Antriebe und Verhaltensweisen denen höherer Säugetiere. Dieses biologische Wesen muss seine Grundbedürfnisse befriedigen. Jeder Einzelne von uns muss das, aber auch die Menschheit mit sieben Milliarden Individuen insgesamt. Als geistige Wesen haben wir zusätzlich unseren Intellekt, unser Wissen und unseren bewussten Umgang mit Gefühlen. Beide Teile dieses dualen Wesens führen, ökologisch betrachtet, zu einer Unausgewogenheitim Umgang mit der Umwelt, aber auch im Umgang mit anderen Menschen. Hinzu kommt die Herausforderung des Handelns in einer komplexen Gesellschaft, mit der hauptsächlich das geistige Wesen konfrontiert wird.
Werden hier die Anforderungen und Zwänge zu groß, etwa bei der Diskussion um Arbeitsplätze, Wirtschaftswachstum und EU-Rettungsschirm, so kann das den Blick auf die Naturnotwendigkeiten verstellen, wie der Umwelthistoriker Radkau konstatiert. Die Gesellschaft ist mit sich selbst beschäftigt, der Bezug zur Umwelt geht verloren, im Kleinen wie im Großen. Und gerade jetzt, in Zeiten der permanenten Wirtschafts- und Finanzkrise, ist dies im Großen zu beobachten. Alles konzentriert sich auf die Rettung des bestehenden Wirtschaftssystems, zu viel scheint davon abzuhängen: Arbeitsplätze, Einkommen und gesellschaftliche Sicherheit. Und doch haben einige Länder beschlossen, einen Schritt weiter zu denken: Wenn man schon in den Jahren 2009/2010 große Konjunkturprogramme aufsetzt, dann könnten diese doch „grün“ sein, also vor allem nachhaltigere Wirtschaftszweige fördern. Beim Gipfel der Vereinten Nationen für Entwicklung und Umwelt in Rio de Janeiro im Jahr 2012, zwanzig Jahre nach dem ersten dort stattgefundenen Gipfel, der die Klimarahmenkonvention und das Übereinkommen zur Biologischen Vielfalt verabschiedet hatte, hätte man diese Idee einen entscheidenden Schritt voranbringen können. Nötig gewesen wäre eine ähnliche Kampagne auf globaler Ebene. Doch die Ergebnisse fielen eher bescheiden und unverbindlich aus. Die Politik ist derzeit nicht willens, die zusätzliche Komplexität einer dauerhafteren Wirtschaftsweise in die laufenden Diskussionen einzubringen. Auch in den Berichterstattungen zum Rio-Gipfel zeigten sich die wahren Prioritäten. Die
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