Biodiversität: Unsere wertvollste Ressource
es anders.
An langen Abschnitten des zwanzig Kilometer langen Strandes konnte man nicht bis zum Wasser vordringen, ohne zumindest eine kleine Bergsteigübung vorzunehmen – bis zu einem halben Meter hoch hatte sich ein mehrere Meter breiter Wall der Nordamerikanischen Schwertmuscheln aufgetürmt. Abertausende Tonnen toter Meeresbiomasse. Ein ungewöhnliches Ereignis – ein sehr kalter Winter – war auf ein anderes getroffen: die Massenverbreitung der Muschel in der Nordsee. Sie hatte sich zwar an die Bedingungen in der Nordsee angepasst, aber die Anpassung hatte Grenzen, was die kalten Temperaturen betrifft, und somit war die Muschel im Winter massenweise abgestorben. Der Anwesenheit der Schwertmuschel in der Nordsee hat dies keinen Abbruch getan – sie ist dort weiterhin sehr weit verbreitet. Aber es zeigt auch die Schwierigkeit für einzelne verschleppte Arten, sich anzusiedeln. Die Möwen waren in diesem kalten Winter die Profiteure. Einen so reich gedeckten Tisch am Strand, mit Hunderttausenden toter Muscheln, haben sie selten. Für mich war es enttäuschend, denn ich hatte gehofft, im Winter am Strand auch einmal ungewöhnlichere Muscheln zu finden. Aber in der Masse des eingebürgerten Neulings war dies einfach kein Vergnügen. Man sah schlicht den Strand vor lauten Schwertmuscheln nicht.
Einwanderer zu Tausenden, als blinde Passagiere oder als Ausbrecher
Im Ballastwasser von Schiffen, also genau so, wie auch die Schwertmuschel ins Watt kam, finden sich jährlich Hunderte, wenn nicht Tausende verschiedene blinde Passagiere, die am Ankunftsorteinfach ins Meer gepumpt werden. Für die meisten von ihnen bedeutet spätestens dies den sicheren Tod, da sie mit der neuen Umgebung nicht zurechtkommen. Nur ein Bruchteil schafft es, in der neuen Umwelt eine Weile zu überleben, noch viel wenigeren gelingt es, sich zu vermehren und dauerhaft anzusiedeln. Daher müsste der Umfang solcher Ansiedlungen eigentlich gering sein. Wenn man aber sieht, wie viele Arten es geschafft haben, sich in einer neuen Umgebung zu etablieren, bekommt man erst einen Eindruck davon, wie viele jedes Jahr wohl ankommen müssen – und die Umsiedlung nicht überleben.
Forscherinnen und Forscher haben für Europa eine Liste erstellt, welche Arten sich etabliert haben – und welche die „Schlimmsten“ davon sind. Die Datenbank des sogenannten DAISIE-Projektes listet über 11 500 eingewanderte Arten auf. In Deutschland sind es knapp 1900.
Zu den hundert „schlimmsten“ Einwanderern in Europa, die das DAISIE-Projekt aufgrund ihrer großen ökologischen wie auch gesundheitlichen und ökonomischen Schäden ermittelt hat, zählt auch die Nordamerikanische Schwertmuschel. Ein weiterer prominenter Vertreter ist die Beifuß-Ambrosie (Ambrosia artemisiifolia) , eine einjährige Pflanze, die sich seit einigen Jahren auch in Deutschland verbreitet und deren Pollen eine sehr große allergene Wirkung haben. Sie wurde (und wird) vor allem durch im Ausland produziertes Vogelfutter eingeschleppt. Auf der Seite der Säugetiere breitet sich der Amerikanische Mink (Mustela vison) , ausgebrochen aus Pelzfarmen, immer weiter aus. Gleiches geschieht mit dem Waschbär (Procyon lotor) , der sich, ausgehend von ein paar nach dem Zweiten Weltkrieg in Hessen ausgesetzten Exemplaren, immer weiter verbreitet und durch das Ausrauben von Nestern Vogelarten wie den Uhu gefährdet, ganz zu schweigen von dem Chaos, den eine Waschbärfamilie anrichten kann, wenn sie sich auf einem Dachboden häuslich einrichtet. In der Jagdsaison 2011/2012 wurden in Deutschland über 71 000Waschbären erlegt. Die Tendenz ist seit Jahren stark steigend. Der Gesamtbestand in Deutschland wird auf über 500 000 Tiere geschätzt.
Eine Berechnung von europäischen Experten um Marianne Kettunen zeigt, dass allein in Europa Schäden und Kosten von zwölf Milliarden Euro pro Jahr durch eingeschleppte Arten entstehen – konservativ gerechnet. Denn: Sind Arten einmal angesiedelt, ist es häufig unmöglich, sie wieder komplett aus einem Ökosystem zu verdrängen. Pflanzenarten können lange als Samen überdauern und müssen deshalb über viele Jahre bekämpft werden, invasive Tierarten sind nicht nur mobil, sondern passen sich häufig sehr gut den Gegebenheiten an.
Und da sind dann ja auch noch wir, die wir immer wieder zur weiteren Verbreitung beitragen können – jeder von uns. Sei es, dass wir ungereinigtes Vogelfutter kaufen, das mit etwas Pech rund ums Vogelhaus zur Ausbreitung der Ambrosie
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