Biodiversität: Unsere wertvollste Ressource
ausbeutet, vor allem angesichts des Energiebedarfs von sieben Milliarden Menschen.
Der Miesmuschel hat dieses Verlangen nach Energie in Form von Kalorien lange stark zugesetzt. Am Ende kam noch die Auster dazu und verdrängte sie teilweise aus ihrem Lebensraum. Und auch die Auster war zu Nutzzwecken nach Europa gebracht worden, ihrer Kalorien wegen. Ihr Mehr-Werden ist beispielhaft für das Mehr-Werden von Arten, Genen und Ökosystemen und ihren Dienstleistungen für den Menschen. Und auch hier kommtbeispielhaft gleich wieder eine Muschel ins Spiel – oder vielmehr an den Strand.
Ein Strand aus Sand und Muschelleichen
Wer, der einmal in jungen Jahren an der Küste war, kennt das nicht – egal an welcher Küste, Hauptsache, ein Strand ist da: Als Kind rennt man herum und bringt jede neue Form von Muscheln zu Mama oder Papa, sammelt sie tütenweise und nimmt sie dann mit nach Hause. Dort sind sie nie wieder so schön frisch, feucht und glänzend wie am Strand und landen schnell in irgendeiner Ecke, verblasst wie die Erinnerung an den Urlaub.
Wir sagen „Muscheln sammeln“, dabei sammeln wir nur ihre Schalen. Wer einmal eine Schale samt Inhalt versehentlich in seiner Sammlung hatte, wird schnell erfahren, dass zu einer Muschel mehr gehört als die äußere Schale – denn das Muscheltier ist ein zentrales Element des Wattenmeeres und anderer flacher Meere (und im Übrigen auch aller Flüsse, aber das kann in Europa, wo sie zumeist schon lange daraus verschwunden sind, schnell in Vergessenheit geraten). Muscheln filtern das Wasser und ziehen die Nährstoffe heraus. Für das Wattenmeer hat man berechnet, dass allein die Herz- und Miesmuscheln zusammen den gesamten Wasserkörper innerhalb von acht bis zehn Tagen einmal durchfiltern. Dabei sind sie, wie viele andere Tiergruppen, nach einzelnen Arten auf verschiedene Lebensräume spezialisiert – und haben sich in vielen Teilen der Welt verschieden entwickelt.
Aber das heißt natürlich nicht, dass sie nicht auch woanders leben können: Ein flaches, sandiges Meer mit bestimmtem Salzgehalt und bestimmten Temperaturen findet sich mehrfach auf der Welt – nur ist es für eine Muschel recht schwer, sich zielstrebig über viele Hunderte oder gar Tausende Kilometer hinweg dorthin zu bewegen, ohne Füße, Flügel oder Flossen. Mit zunehmenderEntfernung nimmt die Wahrscheinlichkeit ab, dass eine bestimmte Artengruppe einen anderen Ort erreicht. Die Vorfahren des Dodo hatten es als Vögel da noch relativ leicht. Aber mit unserer Mobilität haben wir es der Muschel und vielen anderen Organismen ermöglicht, die Wahrscheinlichkeit einer zufälligen Ausbreitung stark zu erhöhen und sich einfach als Passagiere in Schiffen, am Auto haftend oder im Flugzeug mitnehmen zu lassen – ob vom Menschen beabsichtigt oder nicht.
Und damit sind wir wieder beim Muschelsammeln.
Der Winter war harsch, als ich im Januar 2010 auf die Nordseeinsel Juist kam. Juist gehört zu den Ostfriesischen Inseln, wobei es sich, grob gesagt, um große Sandbänke im Nationalpark und Weltnaturerbe des Niedersächsischen Wattenmeers handelt. Juist hat fast zwanzig Kilometer Sandstrand. Es ist der Strand, den ich seit Jahrzehnten immer wieder besuche. Gefühlt kenne ich dort jedes Sandkorn – oder zumindest jede Muschelart, deren Schalen es an den Strand treibt. Das bringt eine gewisse Erwartungshaltung mit sich, wenn man das erste Mal nach Jahren wieder den Strand betritt. An der Nordsee erwartet man Herzmuscheln, Miesmuscheln, Kammmuscheln und, wenn man Glück hat, auch mal das Gehäuse einer Wellhornschnecke. Seit einiger Zeit ist aber die Nordamerikanische Schwertmuschel (Enis americanus) dominant – sie wurde erstmalig 1978 in der Deutschen Bucht beobachtet, wobei die Larven wohl durch das Ballastwasser von Frachtschiffen aus Nordamerika dorthin gelangt waren. Sie breitete sich rasch aus, erreichte die Niederlande und Dänemark schon vier Jahre später, Frankreich 1986 und kurz darauf auch den Englischen Kanal und Norwegen. Sie hat sich überall auf sandigem Untergrund massiv ausgebreitet. Einerseits scheint sie keinen direkten Einfluss auf andere Arten zu haben und diese zu verdrängen, ihre scharfen Kanten und ihr Lebensraum im flachen Wasser können aber zu Verletzungen bei Badenden und zu Schäden an Fischernetzen führen.
An normalen Tagen im Sommer findet man recht viele Schwertmuschelschalen am Strand, bis zu eineinhalb Zentimeter breit und bis zu zwanzig Zentimeter lang. In diesem Februar war
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