Biodiversität: Unsere wertvollste Ressource
Weniger umgehen – das Multitasking der Natur besser nutzen
Natur zu erhalten und gleichzeitig von ihr zu leben ist bei Weitem keine einfache Sache. Oft haben sich Nutzungsmuster, die heute eine gewisse Erhaltung von Arten oder Ökosystemen sicherstellen, über lange Zeiten entwickelt und sind nicht ohne Konsequenzen für Schutz und Nutzung zu ändern. Bei Weitem aber überwiegen die Fälle, in denen Ausnutzung über Erhaltung gestellt wird und die Konsequenzen schon weithin absehbar sind. Dabei werden zumeist einzelne Leistungen der Natur in den Fokus gerückt und gefördert, die Fähigkeit der Natur zum Multitasking wird ignoriert oder gar beschnitten. Nur selten scheint es einen vergleichsweise guten Einklang – oder vielmehr Mehrklang – zwischen Eingreifen und Bewahren zu geben.
Viele Nutzungsmuster führen zu starken Eingriffen in die Natur und Verlusten im Facettenreichtum der Biodiversität. Große globale Entwicklungen spielen dabei ebenso eine Rolle wie die Wirtschaft eines Landes und die Art und Weise, wie sie mit ihrem nullten Sektor umgeht, aber auch die persönlichen Entscheidungen eines jeden wirken sich aus. Das Zusammenwirken ist verwirrend vielfältig, selbst an einer einzelnen Stelle des Planeten.
Das schwierige Neben- und Miteinander – eine Inselwanderung
Unser vielschichtiger Umgang mit unserer wertvollsten Ressource Biodiversität führt dazu, dass Konsequenzen unseres Handelns lange nicht sichtbar werden oder recht abstrakt erscheinen. Wer denkt schon daran, dass der eigene Kaffeekonsum womöglich einen Beitrag dazu leistet, dass eine Affenart in Mittelamerika bedroht ist? Oder dass das Schiff, das den Kaffee in den Hamburger Hafen transportiert, vielleicht eine neue Muschelart im Ballasttank einschleppt, die sich in der Nordsee zu einem Problem entwickeln könnte?
Um ein wenig klarer zu sehen, hilft vielleicht ein Spaziergang an der frischen Luft: Wir stehen 500 Meter östlich des Hauptorts Juist auf der gleichnamigen Nordseeinsel an der einzigen Straße, die in ein paar Kilometern Entfernung, immer entlang von Wattwiesen und Dünen, zum kleinen Flugplatz der Insel führt. Wir schauen über die Wiesen hinweg auf das Watt, das der Miesmuschel und Abermillionen anderen Tieren und Pflanzen einen einzigartigen Lebensraum bietet und im Jahr 2011 von der UNESCO zum Weltnaturerbe erklärt wurde. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass das Watt unberührt ist und natürlich. Aber das täuscht, denn auch hier greift der Mensch ein – durch Fischerei, das Einbringen fremder Arten wie der Pazifischen Auster, durch die massiven Einträge von Nährstoffen aus der Landwirtschaft über Rhein, Weser und andere Flüsse. Viele dieser Effekte sind von unserem Standort am Rande der Dünen aus nicht sichtbar, dafür müssten wir eine Wattwanderung unternehmen oder Statistiken aus mehreren Jahrzehnten studieren. Andere menschliche Einflüsse sehen wir aber mit dem bloßen Auge – die Windräder auf dem Festland, die Versorgungsfähren zwischen Insel und Festland, die im Sommer täglich 500 Touristen und mehr hinund herschippern. Auch sehen wir Segelboote, für die auf Juist noch kürzlich ein neuer Yachthafen ins Watt gebaggert wurde.Mit anderen Worten: Mit einem Blick auf das Watt sehen wir nicht nur Natur, sondern auch die vielfältigen Dienstleistungen, die sie uns bietet, von Nahrung über Energiegewinnung bis hin zu Tourismus und Erholung. Die Veränderungen für die Biodiversität zeigen sich erst auf den zweiten Blick. Immerhin hat man den Eindruck, dass sich zwischen Natur und menschlicher Kultur noch ein gewisses Miteinander oder zumindest Nebeneinander eingestellt hat.
Dieses Bild setzt sich auf den Wattwiesen fort. Eigentlich sind die Wiesen im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer streng geschützt und dürfen wirtschaftlich nicht genutzt werden. Auf Juist gibt es aber großflächige Ausnahmen, denn die Insel ist weitgehend autofrei: Als Ersatz für die am Festland selbstverständliche Kraftfahrzeugmobilität gibt es hier mehrere große Fuhrbetriebe nach guter alter Art – mit vierbeinigen Pferdestärken. So schön dies für die Menschen (mal keine Autos) und so schonend es für die Natur (keine CO 2 -Emissionen) sein mag, so schwierig gestaltet es sich auf einer kleinen Insel, denn die Pferde brauchen Futter und Auslauf, sie können nicht nur im Stall gehalten werden. Das ganze Futter zu importieren wäre zu teuer, deswegen ist es auf Juist – wie auch schon vor den Zeiten des
Weitere Kostenlose Bücher