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Biografie eines zufälligen Wunders - Roman

Biografie eines zufälligen Wunders - Roman

Titel: Biografie eines zufälligen Wunders - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Residenz
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darüber, dass ihre Rente nicht fürs Brot ausreichte. Der Priester empfahl ihnen zu beten.
    »Herr Pfarrer«, stellte sich Lena vor, als sie endlich dran war, »Sie erinnern sich vermutlich nicht mehr an mich, ich war einmal zur Beichte bei Ihnen …«
    »Ich weiß es noch genau«, antwortete der Priester.
    »Nein, Sie wissen es nicht mehr«, bestritt Lena trotzig.
    »Kind, du hast damals gesagt, dass du nicht so recht an Gott glaubst.«
    Lena war überrascht, ließ sich aber nichts anmerken.
    »Na gut«, sagte sie, »aber heute komme ich wegen etwas anderem.«
    »Glaubst du jetzt an Gott?«
    »Darum geht es nicht. Hören Sie mir zu. Haben Sie schon mal ein Wunder gesehen?«
    »Wunder erlebe ich tagtäglich.«
    »Wirklich?! Und was erleben Sie da genau?«
    »Ich sehe Menschenseelen, die nach Erlösung streben.«
    »Nein, also im Ernst jetzt. Ich meine richtige Wunder. Wo, sagen wir, etwas wirklich Unglaubliches passiert. Also Dinge, die es eigentlich nicht geben dürfte.«
    »Du hast dich in der Finsternis verirrt, mein Kind.«
    »Ich hab mich nicht verirrt! Ich bin zu Ihnen gekommen, weil Sie Priester sind, und Sie stellen gleich eine Diagnose. Finden Sie, dass sich das gehört?«
    Der Priester wurde salbungsvoll:
    »Wunder passieren ständig. Das ist Gottes Angelegenheit. Manchmal offenbart er uns, seinen Geschöpfen, seine Größe. Lies die Bibel, dort sind viele Wunder beschrieben. Lies die Heiligenlegenden.«
    »Wissen Sie, dafür habe ich keine Zeit. Könnten Sie mir bitte ganz kurz ein paar Beispiele erzählen, ich brauche nicht sehr viele.«
    »Er hat Wasser in Wein verwandelt, einen Toten zum Leben erweckt, Tausende von Menschen mit drei Brotlaiben gespeist, ist übers Wasser gegangen wie wir über die Erde …«
    »Herr Pfarrer, das interessiert mich nicht.«
    »Was willst du denn dann von mir?!«
    »Ich will wissen, ob aktuell, also in der letzten Zeit, irgendein Wunder passiert ist.« Lena achtete sehr auf ihre Wortwahl, um keinen Argwohn zu wecken. »Vielleicht haben Sie irgendwas in der Richtung gehört oder irgendwer hat Ihnen etwas erzählt?«
    Der Priester schenkte Lena ein mildes Lächeln.
    »Kind, ich sehe, du willst mir selbst etwas erzählen. Sprich.«
    »Ich? Nein, ich habe nichts zu erzählen. Was soll ich erzählen? Ich bin nur neugierig. Sagen Sie, Herr Pfarrer, haben Sie vielleicht gehört, dass irgendwo eine Frau in den Himmel aufgestiegen ist?«
    »Ja, die Mutter Gottes.«
    »Sie verstehen mich überhaupt nicht! Ich meine nicht die Mutter Gottes, sondern eine ganz normale Frau aus Fleisch und Blut. Nur, dass sie fliegen kann. Nichts gehört?«
    »Früher wärst du für solche Reden auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden«, entgegnete der Priester streng.
    »Nein, keine Hexe, eine gute Frau! Nicht auf einem Besen, sondern einfach so, zum Beispiel durch Gedankenkraft.«
    »Hast du so eine Frau gesehen?«
    »Nein«, gab Lena ehrlich zu, »aber ich würde gern.«
    »Bete, mein Kind, bete viel.«
    »Das werde ich, ganz ehrlich, aber sagen Sie mir zuerst, was Sie wissen!«
    Der Priester verlor die Beherrschung:
    »Nein, davon weiß ich nichts. Und so was gibt’s auch nicht. Geh mit Gott, Kind. Du wandelst in der Finsternis. Du suchst nach Beweisen, wo man einfach nur glauben muss. Gott hat es nicht nötig, Menschen wie dich davon zu überzeugen, dass er existiert.«
    »Was stimmt denn nicht mit mir?!«, schrie Lena lauthals, und die alten Mütterchen, die daneben standen und beteten, bekreuzigten sich panisch. »Was habe ich so Schlimmes getan, dass man mich nicht einmal zu überzeugen braucht?«
    »Du bist bereit, an eine fliegende Frau zu glauben, aber du glaubst nicht an Gott, den Herrn, der alles erschaffen hat«, sagte der Priester.
    Er segnete Lena und ließ sie mit ihren Zweifeln alleine. Lena gab nicht auf. Sie hatte noch einen letzten Punkt auf ihrer Liste: den Yogi.
    Lenas Sport-Kommilitonen hatten ihr von ihm erzählt. Dieser Mann hatte angeblich in Kiew Yoga studiert – oder in China? Einerlei, Lena vermutete ohnehin, dass er sich alles nur angelesen hatte. Altersmäßig mochte er so um die vierzig sein. Er konnte einen Hand- und einen Kopfstand machen. Wer weiß, womöglich konnte er sogar fliegen. Lena hatte irgendwo gelesen, Fliegen sei für einen echten Yogi ein Kinderspiel. Außer Fliegen können sich Yogis angeblich auch noch unsichtbar machen, Feuer schlucken, Glas kauen, die Tiere und die Pflanzen verstehen und jahrelang im Lotossitz verharren.
    Der Yogi lehrte im

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