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Biografie eines zufälligen Wunders - Roman

Biografie eines zufälligen Wunders - Roman

Titel: Biografie eines zufälligen Wunders - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Residenz
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Lena.
    »Wer weiß«, sagte der Yogi.
    »Weißt du irgendwas?«
    »Nein. Aber sie könnte existieren. Sie könnte aber auch nicht existieren.«
    »Ich verstehe dich nicht!«, rief Lena.
    »Weil du alles mit dem Verstand begreifen willst, man muss aber mit dem Herzen verstehen.«
    »Ich bitte dich!«
    Lena sagte später, dass Geschwafel ihr genauso zuwider war wie Ungerechtigkeit. Denn es gibt eine konstante, objektive Wahrheit. Es gibt einen Verstand, der versteht, und ein Herz, das fühlt. Wozu die Menschen verwirren, indem man so simple Dinge unnötig verkompliziert? Wie soll das Herz verstehen, wenn seine Natur das Fühlen ist? Ein Hase bellt nicht und ein Hund fängt nicht plötzlich an, Kohl zu fressen!
    »Ich mag dich«, sagte Lena zum Yogi, »aber es gefällt mir nicht, wie du versuchst, in dein Leben mehr Sinn hineinzuinterpretieren, als wirklich da ist. Das geht mich vielleicht nichts an, aber ich finde das feig.«
    »Was hat denn dein Leben für einen Sinn? Machst du nicht dasselbe? Interpretierst du nicht genauso einen größeren Sinn hinein?«
    Lena erinnerte sich daran, dass aus ihr einmal etwas Großes rauskommen sollte, an den blauen Schwan aus Plastilin, den sie von ihrer Kindergartentante geerbt hatte, an den schwarzen Reiter auf dem Rappen, der bei Maigewittern durch die menschenleere Stadt reitet, an den Regenbogen und an den Fleischwolf.
    »Ich dachte immer, dass mein Leben irgendwie besonders ist«, gestand Lena zum ersten und zum letzten Mal (das betonte W. Tschubenko besonders). »Ich dachte, ich lebe für ein besonderes, bedeutendes Ziel. Dass ich besser und klüger bin als die anderen, dass ich mehr verstehen und spüren kann als sie, und deshalb in der Lage bin, ihnen zu helfen. Ich habe an meinen eigenen Gott geglaubt, weil mein Gott nicht der Gott der anderen sein konnte. Mein Gott war klüger als die anderen Götter. Ich hatte meine eigene Meinung, die nicht die Meinung der anderen sein konnte. Ich wollte nicht so sein wie sie. Die Sache ist aber, dass ich auch nicht sie bin. Ich bin genauso anders wie die anderen anders sind. Kannst du mir folgen?«
    »Nicht ganz.«
    Früher oder später kommt der Zeitpunkt, an dem bei Personen mit Heldensyndrom Ernüchterung eintritt und sie aufhören, an ihr Heldentum zu glauben, behauptet W. Tschubenko in seiner Untersuchung. Das nenne sich Desillusionierung und sei auch bei einer gesunden Psyche sehr gefährlich, fuhr er weiter fort. Deshalb schützten die meisten Menschen sich vor solchen Frustrationen und zögen es vor, erst gar keine Illusionen zu hegen. Um ein Scheitern zu vermeiden, tun sie lieber gar nichts, denn wer nicht spielt, der kann auch nicht verlieren. Untätigkeit ist ein gängiger Schutzmechanismus. In der Gesellschaft haben sich schon längst bestimmte Verhaltensnormen etabliert, die vorgeben, wie man leben und was man wollen soll, um nicht zu den Verlierern zu gehören. Ihr kennt sie alle: geboren werden, Schule abschließen, arbeiten, heiraten, Kinder kriegen. Die Kinder sollen dann für Enkelkinder sorgen und die Enkelkinder für Urenkel. Ein Eigenheim haben, drei Freunde haben, die nicht vergessen, einem zum Geburtstag zu gratulieren, glauben, was die anderen glauben, so lieben, wie die anderen lieben, und sterben, wenn die Zeit gekommen ist.
    »Ob es uns gefällt oder nicht, dieses Lebensmodell gilt als gesund«, behauptet der junge Wissenschaftler, wie immer ohne eine Quelle anzugeben.
    Lena hatte dieses Modell hinter sich gelassen und nach ihrem Scheitern praktisch keine Chance mehr, wieder zu ihm zurückzufinden. Einfacher ausgedrückt: Von da an konnte man ihren rasanten Absturz mitverfolgen.
    Pawlo, der Yogi, war übrigens der einzige Mann, der nach Lenas Regeln gespielt und ihr dreimal am Tag seine Liebe versichert hatte. Eigentlich hätte Lena jetzt glücklich sein können. Eine Zeit lang war sie es auch. (Pawlo, der Yogi, sagte sich übrigens auch nach der Trennung nicht von Lena los. Er behauptete, dass er sie immer lieben würde. Heute ist er verheiratet, hat einen Sohn und leitet eine recht anerkannte und erfolgreiche Schule für fernöstliche Praktiken in San Francisco. Seiner Frau verschweigt er nichts, sie betreibt ebenfalls Yoga, hat drei Jahre lang in Nepal gelebt, kann vier Sprachen und ist promovierte Mathematikerin.)
    »Ich mag dich auch«, sagte Pawlo, der Yogi, zu Lena, »mir missfällt aber, dass du so davon besessen bist, allen helfen zu wollen.«
    »Ich habe noch keinem geholfen.«
    »Aber du willst

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