Biohacking - Gentechnik aus der Garage
Realität, mit der wir leben müssen.“ Auch zehn Jahre später verficht er den Ansatz des Veröffentlichens, dieses Mal aber in Bezug auf die Debatte um die Grippeviren. „Nicht Veröffentlichen heißt nicht, dass niemand das Wissen besitzt, sondern man weiß nur nicht, wohin es sich verbreitet.“
Für „Veröffentlichen“ haben sich schließlich auch die Expertenpanels zu den gefährlichen Influenzaviren entschieden. Allerdings bremste dann die niederländische Regierung. Eines der Labors, in denen die neuen Viren gezüchtet worden waren, steht in Rotterdam, auf europäischem Boden also, und somit gilt auch die europäische Dual-Use-Verordnung. Die Regierungsbeamten setzten den verantwortlichen Virologen Ron Fouchier darüber in Kenntnis, dass er die Ausfuhrkontrollbehörden darüber zu informieren habe, wenn er eine Anleitung zur Herstellung von Influenzaviren verschicken wolle. Und sei es nur in Form eines Manuskripts für einen Fachartikel, angehängt an eine E-Mail. Fouchier protestierte gegen diese Art, dieVerbreitung wissenschaftlicher Information über Ländergrenzen hinweg zu kontrollieren, stellte aber doch den Ausfuhrantrag. Ihm wurde schließlich erlaubt, das Manuskript an das Wissenschaftsjournal Science in den USA zu senden, das den Artikel inzwischen auch gedruckt hat.
Das war nicht das erste Mal, dass Wissen von offizieller Seite wie eine Waffe eingestuft und behandelt wurde. Der amerikanische Nachrichtendienst NSA (National Security Agency) wollte in den 90er Jahren ein Verfahren zur Verschlüsselung von Daten verbieten lassen – aus Gründen der nationalen Sicherheit. Dan Bernstein, ein Mathematik-Student von der University of California in Berkeley, hatte das neue Verfahren 1995 zur Veröffentlichung eingereicht. Damit verschlüsselte Botschaften würden sich auch von den Großrechnern des Geheimdienstes nicht mehr knacken lassen. Die NSA aber mag es überhaupt nicht, wenn Bürger oder sonst jemand Geheimnisse haben, die auch vor der Behörde geheim bleiben. Bernstein ging mit Unterstützung der Electronic Frontier Foundation, einer Organisation, die sich für Bürgerrechte in der digitalen Welt einsetzt, vor Gericht erfolgreich gegen das Verbot vor. Heute sichert Bernsteins Krypto-Methode zum Beispiel Zahlungsverkehr im Internet.
Wir leben in einer Welt, in der ein wissenschaftlicher Aufsatz über Viren und mathematische Formeln Waffenpotenzial haben. Wie sollen wir damit umgehen? Die Politologin Petra Dickman schließt ihr Buch „Biosecurity: Biomedizinisches Wissen zwischen Sicherheit und Gefährdung“, das Ende 2011 erschien, mit diesem Gedanken: „In Zukunft wird es darum gehen, mit erhöhter wissenschaftlicher und gesellschaftspolitischer Aufmerksamkeit eine Risikokommunikation gesellschaftlich voranzutreiben, die diese Ambivalenzen besser aushalten und stärkere Antworten formulieren kann.“
Für Biohacker ist der freie Zugang zu Wissen mindestens ebenso wichtig wie die Grundausrüstung für Laborarbeit. Wenn man einmal von der Gebrauchsanweisung für unseren Genkopierer absieht, haben wir keinerlei Probleme mit der Wissensbeschaffung. Gut für uns Biohacker. Aber die Journalisten und Bürger in uns fragen sich, ob das wirklich uneingeschränkt gut so ist. Heute, nach unseren Versuchen, wissen wir, dass wir uns wahrscheinlich so bald nicht vor Killerviren aus dem Garagenlabor zu fürchten brauchen. Nicht, weil es nicht möglich wäre. Denn möglich ist es bestimmt, und irgendwann wird wohl auch jemand versuchen, das zu beweisen. Aber es wird sehr schwierig, nicht nur weil Biohacker normalerweise keine terroristischen Ambitionen haben und normalerweise davor zurückschrecken dürften, sich die für die Virenzucht nötige Frettchenzucht samt Käfigen und Gestank auch noch in die Garage zu stellen. Sondern auch aus ganz praktischen Gründen, die in den folgenden Kapiteln dieses Buches eine Rolle spielen werden.
Und die Herstellung von Viren ließe sich noch erschweren. „Würde man die Regelungen eng auslegen, würde man viele der grundlegenden Methoden unzugänglich machen für Amateure“, sagt Max Hodak, Mitbegründer von Transcriptic in Menlo Park, Kalifornien, einem Hersteller künstlicher DNA. Dasselbe gilt wahrscheinlich auch für die europäische Seite des Atlantiks. Noch ist DIY-Biologie vergleichsweise unbedeutend und klein. Aber was passiert, wenn sie irgendwann von wirklich vielen Menschen betrieben wird? Sichere Antworten hat niemand. „Momentan kennen sich noch
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